Angst vor dem Blutbiss
»Willst du denn überhaupt mit?« erkundigte ich mich vorsichtig.
»Und ob. Was hast du denn gedacht? Denkst du denn, daß ich dich mit derart vielen jungen Damen allein lasse? Das kommt überhaupt nicht in Frage.«
»Wunderbar.«
»Wann starten wir denn?«
Ich holte die Unterlagen aus der Innentasche der Jacke. Carrigan hatte sogar Flüge für die erste Klasse gebucht, und die Maschine startete in den Morgenstunden.
»Also nur wir beide«, sagte Jane. »So ist es.«
Sie hatte Lady Sarah einen schiefen Blick zugeworfen, doch die Horror-Oma winkte ab. »Keine Sorge, ihr beiden, ich bleibe hier im Haus. Das verspreche ich hoch und heilig.«
»So sollte es auch sein.«
Ich trank den letzten Schluck Wein, schaute auf die Uhr und erklärte, daß ich fahren müßte.
»Ins Büro?« fragte Sarah Goldwyn.
»Wohin sonst?«
»Und was willst du da, wenn ich fragen darf?«
»Glenda Perkins sagen, daß ich mit Jane in die Berge fahre. Die wird sich freuen…« Jane Collins verdrehte nur die Augen.
»Ich habe Angst«, sagte Marisa Melli und spielte nervös mit einigen Karten, die sie auf dem Tisch hin- und herschob.
Katja Lagemann schaute sie an. »Ich auch.«
Die Mädchen schwiegen. Aus dem Bad hörten sie das Rauschen der Dusche. Dort fühlte sich Susan Carrigan unter den Strahlen wohl. Sie war diejenige, die immer am längsten unter der Dusche stand, als würde es ihr ein besonderes Vergnügen bereiten, was sicherlich auch so war.
»Hast du Angst vor demselben wie ich?« erkundigte sich Marisa, die nicht länger schweigen wollte.
»Was ist es denn?« Katja war vorsichtig.
»ER!« Marisa wagte nicht, das Wort auszusprechen, aber sie behielt Katja im Blick. Die hatte ihre Augen gesenkt und ließ die Blicke über die Karten schweifen. Sie wußte genau, daß sie jetzt etwas sagen mußte, aber sie wußte nicht, wie sie gewisse Dinge in Worte fassen sollte. Es war einfach zu schlimm, zu irreal, zu unwahrscheinlich, und doch war es eine verdammte Realität.
Sie hatte Angst vor IHM. Alle hatten Angst vor IHM. ER war das Unheimliche, ER verkörperte das Böse. ER hielt sie unter Kontrolle, und ER hatte sie besucht.
Kurz nur, aber heftig.
Mitten in der Nacht war ER wie ein Gespenst erschienen und hatte ihnen klar gemacht, daß noch nicht alles zu Ende war. Daß es weitergehen würde, und daß ER die Rechnung offengehalten hatte.
Dann war ER verschwunden, und ER hatte einen Hauch von Moder und Verwesung hinterlassen, den die drei Mädchen sogar noch am Morgen in ihrem Zimmer gerochen hatten.
Katja verteilte die Karten. Sie hatte sie mit den Rückseiten nach oben gelegt und schaute auf das filigrane Muster, das aussah wie eine Tapete.
»Was tust du da, Katja?«
Die Angesprochene hob die Schultern. »Welche Karte soll ich aufdecken?« fragte sie.
»Ist mir egal.«
Katja lächelte schmal. Sie war sehr schlank und auch die kleinste unter ihnen. Ihr Haar schimmerte. Sie hatte es halblang geschnitten, und ihre Augen strahlten eine menschliche Wärme ab, wie man sie selten fand.
Zudem zeigten sie eine haselnußbraune Farbe. Sie trug eine rote Radlerhose und ein schwarzes T-Shirt.
»Welche Karte?« wiederholte sie.
»Nimm irgendeine.«
»Und wenn es eine schlimme ist?«
»Daran kann ich auch nichts ändern.«
»Wie du meinst.«
Katja bewegte ihre Finger. Sie tippte mehrere Karten an, zeigte sich etwas unentschlossen und drehte plötzlich eine um. Beide Schülerinnen starrten auf das Bild, und beide Schülerinnen verloren ihre Gesichtsfarbe und wurden blaß.
»Kreuz-As!« flüsterte Marisa.
»Nicht gut?«
»Richtig.«
»Und?«
Katja drehte die Karte schnell wieder um. »Manche Leute sprechen davon, daß diese Karte den Tod bedeutet, daß sie ihn bringt, den verfluchten Sensenmann.« Sie lächelte. »Aber das ist Aberglaube.«
Marisa Melli schüttelte den Kopf. Sie saß steif auf ihrem Stuhl und schluckte. »Nein«, murmelte sie. »Das ist bei uns kein Aberglaube. Das hängt mit ihm zusammen, verstehst du? Einzig und allein mit ihm, verdammt!«
»Wir haben unseren Vätern Bescheid gegeben. Unsere Eltern wollen etwas unternehmen. Man wird einen Polizisten schicken, der herkommt und sich umschaut.«
»Was soll der denn gegen IHN ausrichten. Wir haben IHN kurz gesehen und erkannt, wie schlimm er aussah. Er ist kein Mensch.« Marisa schüttelte sich. »Wir haben unseren Eltern alles erzählt. Wir haben ihnen den Unheimlichen beschrieben, und wir haben erleben können, wie unsere Väter reagierten. Keiner hat
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