Angst vor dem Blutbiss
ermöglichen ließ, würde er in dieser Nacht zuschlagen. Es war die erste, in der der Mond seinen vollen Kreis zeigte. Er würde noch einige Nächte so bleiben, aber aufschieben oder etwas immer weiter zurückdrücken, das wollte er nicht unbedingt.
Sollte es sich ergeben, dann ja. Ansonsten würde er das Terrain sondieren und sich für die kommende Nacht vorbereiten. Dann aber kannte er kein Pardon mehr.
Und er war bereits gesehen worden. Die ihm bekannte Blutspur, die er als Geruch wahrnahm, hatte ihn zu einem Fenster geführt, und er hatte drei junge Frauen gesehen.
Jung, hübsch, voller Blut…
Bekanntes Blut!
Vor dreißig Jahren hatte er es schon einmal gerochen. Und jetzt wieder, aber etwas anders. Es bewegte seine Nasenflügel. Er suchte nach einer Beschreibung und mußte zugeben, daß es ähnlich, aber nicht gleich war.
Es hatte etwas von dem alten Blut in sich, das ihm noch in Erinnerung geblieben war.
Wieder unterwegs.
Wieder Jäger sein.
Wieder die Gier spüren. Das machte Spaß, das freute ihn, das putschte ihn hoch.
Bald, sehr bald, vielleicht schon gleich. Zähne, die zielsicher einen Hals fanden, unter dessen dünner Haut sich eine Ader abzeichnete. Es war ein Traum, der nicht mehr lange ein Traum bleiben würde. Nein, nicht mehr.
Er hatte die Umgebung des Abgrunds verlassen und war um eine vorspringende Felsnase geschritten. Vor ihm breitete sich ein Feld aus.
Ein sich leicht senkender Hang, ein Plateau, bewachsen mit Gras, Blumen und Kräutern, aber auch bedeckt von Steinen, die in der Erde klebten und sich festgebacken hatten.
Mondlicht schien herab. Es war ein breiter Schleier, der sich auf dem Plateau verlief. Er gab den Glanz ab, der sich auch weiter nach Westen hin verteilte, wo oberhalb des Kamms mit den Hotels und kleinen Pensionen ein Bau in die Höhe wuchs, der, zumindest in der Nacht, wie eine Festung aussah.
Der Blutsauger blieb stehen.
Plötzlich lächelte er. Zwei Zähne schoben sich nach unten, ragten mit ihrer Spitze über die Unterlippe hinweg. Dünnes Licht sickerte aus einigen Fenstern. Alles sah so weit aus, als stünde dieses Bauwerk in einer fernen Galaxis. Aber es war nahe.
Und der Blutsauger war es auch.
Kontakt, er brauchte Kontakt zu den Personen, in denen das Blut floß. Er würde ihn bekommen.
Der Vampir ging weiter.
Schneller jetzt, und der Mond über ihm schien zu lächeln…
***
Die drei Schülerinnen hätten das Fenster geöffnet lassen sollen, um die frische Luft hereinzulassen. Sie hatten sich aber nicht getraut, die Angst steckte zu tief in ihren Knochen, und sie begleitete sie auch noch im Schlaf.
Die Mädchen schliefen unruhig. Es war kein gesunder Schlaf. Zwar waren sie nicht wach, aber sie befanden sich in einem ungewöhnlichen Zustand, in einer Phase zwischen Schlaf und Alptraum. In ihre Gehirne war es hineingesickert wie Teer. Es füllte sie aus, es war einfach wie Blei geworden, es war wie…
Sie wälzten sich herum.
Sie merkten nicht, was sich ihnen näherte, aber sie spürten, daß es jemand war.
Etwas, das sie nicht fassen konnten, das in ihre Träume hineinstieg, als hätte ihr Unterbewußtsein es katapultiert.
Die Angst war bei ihnen.
Sie lag neben ihnen im Bett, die schlief mit ihnen, sie wartete nur darauf, daß sie zugreifen konnte, aber sie war noch nicht existent, sie schwebte nach wie vor in einer anderen Dimension und war nur durch das Unterbewußtsein greifbar.
Marisa Melli murmelte im Schlaf.
Katja Lagemann sprach ebenfalls hin und wieder unruhige Worte. Ein Zuhörer hätte sie kaum verstanden, weil die Worte, kaum daß sie ausgesprochen waren, einfach wegsackten.
Flüstern, Murmeln… Stöhnen – Angst!
Eine erwachte.
Es war Susan Carrigan!
Sie kroch aus ihrem Schlaf hervor wie ein Tier, das sich aus einem Kokon schälte. Sie kam in Intervallen, sie war anders, sie war ein Etwas, sie war kein Mensch mehr, sie war Schleim, der erst noch eine Hülle finden mußte.
Er hatte die Hülle gefunden. Der Körper war wieder existent, das Unterbewußtsein war zurückgedrängt worden, die Realität hatte Susan Carrigan eingeholt.
Sie setzte sich hin.
Teer in ihrem Gehirn. Teer und Blei gemischt. Beides füllte ihren Kopf aus und erschwerte das Denken.
Sie öffnete den Mund. Luft – Himmel, sie brauchte Luft. Sie wollte tief einatmen, sie brauchte es einfach, um endlich leben zu können. Es war schlimm geworden, sie spürte die Bedrohung in ihrer Nähe, obwohl sie diese nicht sah, aber sie war vorhanden, und sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher