Anidas Prophezeiung
sonst vielleicht zu kompliziert für die anderen wird, mir zu folgen. Bist du damit einverstanden?«
Ich nickte. Was blieb mir anderes übrig? Ich hatte ja jetzt schon mehr Fragen auf Lager, als mir jemals jemand würde beantworten können. Ida warf mir einen schnellen, aufmunternd gemeinten Blick zu. Ich musste mich sehr bremsen, ihr keine Grimasse zu schneiden. Heiliger Kometenschweif, ging mir diese Frau vielleicht auf den Nerv!
»Du kennst die Geschichte der Herzen?«, fragte Ylenia ihre Nichte.
Ida sah kurz zu Tallis und der Rothaarigen hinüber. »Ich kenne die Überlieferung der Grennach«, antwortete sie leise. »Mellis hat sie mir vor Jahren erzählt, und ich habe sie hier in einem Buch noch einmal gelesen.«
»Das ist gut«, sagte Ylenia ein wenig überrascht. »Dann muss ich nicht ganz so weit ausholen. Du weißt also, dass die Herzen bis auf zwei verloren gingen: das Herz des Feuers, das die Feuerelfen in ihrer Obhut hatten«, sie tippte sacht mit dem Finger gegen die rote Brosche, »und das Herz der Erde, das die Grennach hüten.« Sie schwieg einen Moment und sammelte sich. »Eure Großmutter hatte sich als Oberste Hexe der Weißen Schwesternschaft der Aufgabe gewidmet, die Spur der verlorenen Herzen wieder zu finden. Das ist immer eine der vorrangigen Aufgaben des Weißen Ordens gewesen, aber für Elaina war es mehr als nur eine Aufgabe: Sie wusste, dass das Schicksal unserer ganzen Welt davon abhängen würde, ob die Herzen wieder vereint sein würden. Sie hat in unseren ältesten Aufzeichnungen eine Prophezeiung der Grennach gefunden, über die ich mir nun schon seit Jahren den Kopf zerbreche. Derartige Prophezeiungen zeichnen sich leider selten durch ihre Klarheit aus.« Sie lächelte ein wenig gequält.
»Moment mal«, entfuhr es mir trotz meiner Zusage, meine Fragen vorerst herunterzuschlucken. Aber das hier war mir zu starker Stoff, wollten die mich denn auf den Arm nehmen? Ylenia verstummte und sah mich mit hochgezogenen Brauen an.
»Ich glaube, ich habe das alles nicht ganz richtig verstanden«, sagte ich, sehr um Ruhe bemüht. »Wie war das mit den Hexen? Ihr wollt mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass ihr an so einen Schwindel glaubt!«
Ylenia seufzte leise und blickte Tallis an. Tallis beugte sich zu mir und murmelte: »Hat das nicht Zeit bis nachher, Kind? Es würde jetzt wirklich zu weit führen, dir alles zu erklären.«
»Nein, tut mir leid, den Punkt hätte ich gerne sofort geklärt«, beharrte ich. Das war mein Horrortrip, also bestimmte ja wohl ich die Regeln, nach denen gespielt wurde – oder sofort raus aus meinem Kopf, ihr Gehirnschrumpfer!
Tallis zuckte mit den Schultern, und Ylenia hob resigniert die Hände. Ich spürte, wie sich Ida neben mir verkrampfte. Die Oberhexe murmelte etwas. Zwischen ihren Handflächen entstand ein rötlich glühender Punkt, der sich langsam aufblähte und dabei immer heller wurde. Ich sah verdutzt mit an, wie sich die inzwischen faustgroße, gleichmäßig strahlende Lichtkugel in der Luft um ihre eigenen Achse drehte und mit einer winzigen Bewegung der langen Finger Ylenias langsam in meine Richtung zu driften begann. Zehn Zentimeter vor meiner Nase hielt sie an, zitterte ein wenig und zerplatzte dann mit einem winzigen Knall. Sie übersprühte mich mit kleinen, roten Partikeln, die sich auf meiner Jacke und in meinen Haaren festsetzten und dort lebhaft vor sich hinfunkelten. Ich betastete vorsichtig einen davon mit dem Finger, aber sie waren nicht heiß, und ließen sich nicht wegwischen. Chloe krabbelte aus meiner Jacke und schnüffelte neugierig daran, aber da das Zeug sich als nicht essbar erwies, schniefte sie nur enttäuscht und tauchte wieder ab.
Tallis kicherte. »Das war ein schönes Stückchen, Ylenia. So schön, wie ich es seit dem legendären Feuermondfest vor dreißig Jahren nicht mehr gesehen habe.«
Ylenia neigte ungeduldig den Kopf und fragte: »Darf ich dann weitermachen?« Ich hörte auf, an den Funken herumzuwischen, und hob die Hand. Ylenia zog die Brauen zusammen, dann lachte sie auf. »Nein, keine Sorge. In ein oder zwei Stunden werden sie wieder verschwunden sein. Das ist kein permanenter Zauber, Eddy.«
Ich hielt den Mund und rutschte tiefer in meinen Stuhl. Hexen und Zauberei. Mein Gehirn schien wirklich ganz und gar durchgequirlt zu sein. Also lehn dich zurück und genieße den Trip, Eddy.
»Die Prophezeiung«, fuhr Ylenia fort. »Ich möchte sie euch vorlesen, damit ihr euch selbst ein Bild machen könnt.
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