Anita Blake 05 - Bleich Stille
Hauptstraße ab. Da war nichts, woran man sie von anderen unterscheiden konnte. Nichts Bestimmtes.
Die Bäume standen so dicht an der Straße, dass man wie durch einen Tunnel fuhr. Die nackten Äste beugten sich über uns wie Gewölberippen. Die Scheinwerferkegel fuhren über die kahlen Bäume und hüpften, wenn der Jeep ein Schlagloch traf. Nackte hölzerne Finger klopften auf das gendach. Es war scheiß klaustrophobisch.
»Mann«, sagte Larry. Er drückte das Gesicht gegen die schwarze Scheibe. »Wenn ich nicht wüsste, dass an dieser Straße ein Haus steht, ich würde umkehren.«
»Genau das ist die Absicht«, sagte Jean-Claude. »Die Älteren unter uns schätzen ihre Abgeschiedenheit oft mehr als s andere.«
Die Scheinwerfer leuchteten in ein Loch, das die ganze Seite der Straße einnahm. Es sah aus wie eine Rinne, die Regenwasser über Jahrzehnte gegraben hatte. Larry beugte sich über die Sitzlehne, bis der Gurt nicht mehr nachgab. »Wo ist die Straße hin?« »Mit dem Jeep geht das«, sagte ich. »Sicher?«, fragte er.
»Ziemlich sicher«, sagte ich.
Jean-Claude hatte sich zurückgelehnt. Er wirkte vollkommen entspannt, beinahe losgelöst, als ob er auf eine Musik lauschte, die ich nicht hören konnte, und Gedanken folgte, die ich niemals begreifen würde.
Jason beugte sich jetzt auch nach vorn, legte eine Hand auf meine Sitzkante. »Warum lässt sie die Straße nicht pflastem? Sie ist schon seit einem Jahr hier.«
Ich warf einen Blick nach hinten. Es war eine interessante Feststellung, dass er mehr über Jean-Claudes Angelegenheit wusste als ich.
»Das ist ihr Burggraben«, sagte Jean-Claude. »Ihr Schutz gegen Neugierige. Viele können sich mit ihrem neuen Status nicht recht anfreunden und halten sich nach wie vor verborgen.«
Die Räder rutschten über die Kante, als führen wir in einen Krater. Wunderbarerweise kroch der Jeep auf der anderen Seite wieder heraus. Wären wir in einem gewöhnlichen Wagen gesessen, hätten wir den Rest zu Fuß gehen müssen.
Die Straße kletterte etwa hundert Meter bergan, und plötzlich fand sich auf der rechten Straßenseite eine Öffnung. Sie sah nicht aus, als könnte der Jeep hindurch passen, nicht ohne sich höllisch den Lack zu zerkratzen. Woran man einzig sah, dass da eine Lichtung war, war das Mondlicht, das uns zwischen den finsteren Bäumen entgegen schien. So viel Mondlicht hieß, dass da etwas war. Durch eine dünne Kiesdecke, die mal die Auffahrt gewesen sein mochte, war Gras gewachsen.
»Ist es das?«, fragte ich, nur um sicher zu sein. »Ich nehme es an«, sagte Jean-Claude.
Ich lenkte den Jeep zwischen den Bäumen durch und horchte auf die Zweige, die dagegen klatschten. Ich hoffte, dass der Jeep Stirlings Firma gehörte und nicht bloß geliehen war. Mit einem letzten metallischen Kratzen entkamen wir den Bäumen. Ein Morgen Land dehnte sich vor uns aus, vom Mondschein silbergerändert. Im Herbst musste jemand den Rasen kurz und klein geschnitten und dann dem Winter überlassen haben. Hinter dem Haus gab es einen vernachlässigten Obstgarten. Das Grundstück stieg sanft an bis zum Fuß eines Berges. Jenseits des niedergemetzelten Rasens stand dichter unberührter Wald.
Mitten auf dem sanften Hang stand ein Haus. Der Mondschein ließ es silbergrau erscheinen. An manchen Stellen klebte noch der Anstrich wie die traurigen Kleiderreste an einem Unfallopfer. Eine große Steinveranda zierte die Front des Hauses, verbarg Tür und Fenster in einer Schattenwand.
»Schalten Sie die Scheinwerfer aus, ma petite.«
Ich schaute auf die finstere Veranda und wollte den Lichtschalter nicht drücken. Der Mondschein hätte in diese Dunkelheit vordringen müssen.
»Ma petite, die Scheinwerfer.«
Ich drückte den Schalter. Der Mond übergoss uns mit einem Schwall sichtbarer Luft. Die Veranda blieb dunkel und still wie ein Fass Tinte. Jean-Claude schnallte sich los und stieg aus. Die Jungs folgten ihm. Ich verließ den Wagen als Letzte.
Große platte Steine waren in den Rasen gesetzt und bildeten einen Gehweg bis zu den Stufen, die auf die Veranda führten.
Auf der einen Seite der verwitterten Tür gab es ein Panoramafenster. Die Scheibe war zerbrochen. Von innen hatte jemand Sperrholz davor genagelt, um die kalte Nachtluft draußen zu halten.
Das kleinere Fenster auf der anderen Seite der Tür war unbeschädigt, aber so schmutzig, dass man nicht durchsehen konnte. Die Schatten
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