Anita Blake 08 - Göttin der Dunkelheit
armen kleinen Kälber«, meinte ich.
»Du hast Mitleid mit ihnen?«, fragte Edward und bedachte mich mit einem langen Blick, den ich nicht verstand. Er war nicht ausdruckslos, ich konnte ihn nur nicht deuten. Gab es sonst etwas Neues?
»Ich bin mit der Behandlung dieser Tiere nicht einverstanden, ja, aber eigentlich mag ich die Konsistenz des Fleisches nicht.«
Dallas beobachtete uns, als täten wir etwas viel Interessanteres, als uns über das Fleisch zu unterhalten. »Sie mögen die Konsistenz von Kalb nicht?« Ich nickte. »Genau.«
Olaf wandte sich ihr zu, spießte sein letztes Stück Fleisch auf die Gabel und bot es ihr an. »Sie mögen Kalb?«
Sie bekam ein seltsames Lächeln. »Ich esse hier fast jeden Abend Kalb.« Sie nahm seinen Bissen nicht, sondern aß von ihrem eigenen Teller.
Ich hatte das Gefühl, dass mir etwas entgangen war, aber bevor ich fragen konnte, gingen die Lichter aus. Die letzte Nummer sollte beginnen. Wenn ich später noch Hunger hatte, würde auf dem Heimweg sicher noch etwas offen haben.
Irgendwo war immer etwas offen.
24
Die Lichter wurden gedimmt, bis der Saal dunkel war. Ein schwacher Scheinwerfer schnitt durchs Dunkel, ein weißer Kegel, der ans andere Ende des Raumes glitt.
Eine Gestalt trat in den bleichen Lichtkreis und beugte den Kopfputz aus roten und gelben Federn. Ein Mantel aus kleineren Federn verhüllte die Gestalt vom Hals bis zum Rand des Lichts am Boden. Der Kopfputz hob sich, und man sah ein blasses Gesicht. Es war Cesar. Er sah zur Seite, um sein Profil zu zeigen und die vielen Ohrringe, die sich die halbe Ohrmuschel hinauf reihten. Gold funkelte, als er den Kopf drehte, und der Scheinwerfer wurde heller. Er hob etwas an den Mund, und ein Ton schwang durch den Raum, ein dünnes Trällern wie von einer Flöte, aber das Instrument sah nicht danach aus. Das Lied war schön, aber unheimlich, man glaubte, eine junge Schönheit weinen zu hören. Ein Jaguarmann nahm ihm den Federmantel ab und verschwand damit. Um die Schultern trug Cesar schweren Goldschmuck. Wenn der echt war, war er ein Vermögen wert. Von beiden Seiten kamen Hände aus der Dunkelheit und nahmen ihm den Kopfputz ab, ohne dass man eine weitere Person sah.
Cesar bewegte sich langsam voran und als er den Saal halb durchquert hatte, konnte ich sehen, worauf er spielte: auf einer Art Panflöte. Die Melodie schlängelte sich durch den dunklen Saal, mal erhebend, mal schwermütig. Es sah aus, als spielte er wirklich, und wenn, dann beherrschte er sein Instrument.
Derweil wurde ihm alles abgenommen, was ertrug: ein kleiner Schild, eine Art Köcher und ein seltsamer Stock, der an einen Bogen erinnerte. Inzwischen war er so weit nach vorn gekommen, dass ich den Jadeschmuck an seinem Kilt erkennen konnte. Natürlich war es kein Kilt, aber »Rock« war auch nicht das richtige Wort. Vorn war er mit Federn geschmückt, ansonsten bestand er aus einem kostbaren Stoff. Wieder schoben sich Hände in den Lichtkegel, diesmal um das Kleidungsstück zu lösen und mitsamt dem Jadeschmuck wegzunehmen. Jetzt war auch zu erkennen, dass die Hände den Jaguarmännern gehörten. Sie entkleideten Cesar bis auf den hautfarbenen Stringtanga.
Die Melodie erhob sich in die Dunkelheit, während er sich den letzten Tischreihen näherte. Fast sah man die Töne aufsteigen wie Vögel. Normalerweise werde ich bei Musik nicht sentimental, aber die hier war anders. Irgendwie wusste man, es war nicht bloß ein Lied, das man mal hörte und gleich wieder vergaß oder in komischen Momenten vor sich hin summte. Bei Ritualmusik denkt man eher an Trommeln, an einen Rhythmus, der uns an unseren Herzschlag erinnert, an das Heben und Senken des Brustkorbs. Aber nicht jedes Ritual soll uns an unseren Körper gemahnen. Manche sollen uns ins Gedächtnis rufen, warum das Ritual abgehalten wird. Jedes Ritual dreht sich im Kern um eine Gottheit. Na gut, nicht alle, aber die meisten. Bei den meisten schreien wir im Grunde: He Gott, sieh mich an, sieh uns an, hoffentlich bist du zufrieden. Im Grunde sind wir alle Kinder, die hoffen, dass Dad oder Mom das Geschenk gefällt, das wir für sie ausgesucht haben.
Natürlich können Mom und Dad manchmal ganz schön wütend sein.
Cesar ließ die Flöte sinken, sie hing an einem Band um seinen Hals. Er kniete sich hin und zog sich die Sandalen aus, dann gab er sie einer Frau am nächsten Tisch. Dort kam es zu einer gewissen Unruhe, so als
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