Anita Blake 11 - Jägerin des Zwielichts
über der Brust. Jeans und Arbeitsstiefel rundeten seinen Aufzug ab. Er war kahl, hatte aber einen Drachen um die Ohren und am Hinterkopf entlang tätowiert. Ein sehr gut ausgeführtes Tattoo.
»Was haltet ihr beide davon, dass ihr euer Leben für jemanden riskieren sollt, den ihr gerade zum ersten Mal seht?«
»Du hast unserem König das Leben gerettet«, antwortete Igor. »Wir schulden dir ein Leben.«
»Selbst wenn es deins ist.«
»So ist das Gesetz«, sagte er.
»Siehst du das genauso?«, fragte ich Claudia.
»Wie Igor sagt: Wir schulden dir ein Leben.«
Ich kam nie damit zurecht, wenn andere bereit waren, meine Sicherheit über ihre eigene zu stellen. Leibwächter waren nicht mein Ding, aber was sollte ich machen? Ich streckte ihnen die Hand hin. Die beiden wechselten einen Blick, dann schüttelten sie mir die Hand. Igor, als hätte er Angst, was kaputt zu machen, und Claudia drückte zu, als wollte sie mich schreien hören. Ich schrie nicht. Ich lächelte sie freundlich an, weil ich wusste, dass sie mir eigentlich nichts wollte. Sie wollte bloß sehen, ob ich zusammenzuckte. Bei meinem freundlichen Lächeln runzelte sie die Stirn, ließ meine Hand aber los. Es tat tatsächlich ein bisschen weh, und wenn meine Selbstheilungskräfte sich der Sache nicht annahmen, hätte ich am nächsten Morgen einen erstklassigen blauen Fleck. Verdammter Mist.
Rafael überließ mich meinen Leibwächtern und wandte sich einigen seiner Ratten zu, um Anweisungen zu geben. »Ist Igor dein richtiger Name?«, fragte ich.
»Spitzname.«
»Und wie heißt du wirklich?«
Er lächelte und schüttelte den Kopf.
»Was kann denn schlimmer sein als Igor?«, fragte ich.
Sein Lächeln wurde breiter. »Das möchtest du gern wissen, was?«
Ich musste grinsen, und die Enge in meiner Brust verflüchtigte sich. Man hätte fast meinen können, ich wäre erleichtert, zwei Leibwächter zu haben. Nix da, ich doch nicht. Ich brauchte so was Bescheuertes nicht. Sie würden wahrscheinlich gar nicht nötig sein, aber mit zusätzlicher Verstärkung ist das wie mit zusätzlicher Munition. Wenn man sie braucht, ist es gut, sie zu haben, wenn man sie nicht braucht, kann man sie wieder in die Schachtel stecken.
Die Wahrheit war, dass meine Leoparden Schutz von mir erwarten konnten, ich aber nicht von ihnen. Traurig, aber wahr. Und ich traute Merle und Noah nicht so ganz, auch Micah nicht. Er wollte mit bestimmten Dingen nicht herausrücken, und das gefiel mir nicht. Manche Frauen sind nie zufrieden.
Rafael ging zwischen seinen Leuten hin und her und gab leise Instruktionen. Micah blieb dicht bei mir, Merle und Noah in wachsamer Nähe. Ich sah Micah an, und plötzlich konnte ich die Nähe nicht ertragen, ohne ihn anzufassen. Ich hielt ihm meine Hand hin. Er blickte erstaunt und nahm sie. Seine pulsierende Wärme raubte mir fast den Atem. Bei ihm sah ich eine ähnliche Reaktion. Was war los? Ich zog meine Hand wieder weg, aber es war ein Gefühl, als bewegte ich mich in dickem Sirup. Ich sah mich um und stellte fest, dass die Leoparden uns umringt hatten, seine und meine. Sowie ich Nathaniels Blick begegnete, durchfuhr mich die Macht. Ich drehte den Kopf zu Cherry, die ihre hellen Augen aufriss. Die Macht war so greifbar, dass man meinte, Flüssigkeit zu atmen. Sie sprang von mir auf Zane, Vivian und Caleb über. Auf Caleb, den ich eigentlich nicht leiden konnte. Aber sobald ich sein Gesicht suchte, sprang die Macht über, genau wie bei den anderen.
Er schnappte nach Luft, griff sich an die Brust, und seine Stimme klang wie erstickt: »Was tust du?«
»Was eine Nimir-Ra tut«, antwortete Micah.
Ich drehte mich zu ihm hin und streifte dabei Noahs Blick. Die Macht erfasste diesen mir fremden Mann, und er erschrak. Ich selbst war seltsam ruhig; es kam mir gut und richtig vor. Gina rückte näher an Merle, was meinen Blick anzog. Die Macht schwenkte zu ihr und ging von Gina weiter. Wir alle vereinigten und teilten unsere Kräfte, die zwischen uns hin- und herflossen. Gina liefen Tränen übers Gesicht, sie weinte lautlos und hielt sich an Merles Arm fest. Schließlich begegnete ich seinem Blick, und er sah sofort weg. Aber auf den Blickkontakt kam es gar nicht an, sondern auf meine Aufmerksamkeit. Die Macht, meine Macht, mein Tier hatte ihn wahrgenommen.
Die Macht peitschte durch ihn hindurch, weil er sich wehrte. Er versuchte sich abzuschirmen, schaffte es aber nicht.
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