Anita Blake 11 - Jägerin des Zwielichts
dass du ihn liebst. Könntest du ihn wirklich umbringen? Könntest du auf ihn zielen und abdrücken?«
Ich sah sie an und wusste auch ohne Spiegel, dass ich einen distanzierten, kalten Blick bekommen hatte. Bei braunen Augen ist das schwierig, aber neuerdings kriegte ich das hin.
Ich sah einen Anflug von Angst über ihr Gesicht huschen. Ich weiß nicht, ob sie in dem Moment Angst vor mir oder um mich hatte. »Du könntest es. Himmel, Anita. Du bist viel länger mit Jean-Claude zusammen als ich mit Louie. Ich könnte Louie niemals etwas tun, egal, was er getan hätte.«
Ich zuckte die Achseln. »Es würde mich elend machen, ja. Es ist nicht so, dass ich hinterher glücklich weiterleben würde, falls ich das überhaupt überleben würde. Es besteht die reelle Chance, dass mich die Vampirzeichen mit ins Grab ziehen würden.«
»Noch ein guter Grund, ihn nicht umzubringen«, sagte sie.
»Wenn er Gregorys Schrei am Telefon verursacht hat und weiteratmen will, dann muss er bessere Gründe anführen als Liebe, Lust oder mein Überleben.«
»Ich verstehe das nicht, Anita. Ich verstehe das überhaupt nicht.«
»Ich weiß«, sagte ich und dachte im Stillen, dass ich mit ihr genau deswegen nicht mehr so viel zusammen war wie früher. Ich war es leid, ihr ständig etwas erklären zu müssen. Nein, mich ständig rechtfertigen zu müssen.
Du bist meine Freundin, dachte ich, meine beste Freundin. Aber ich komme nicht mehr mit dir klar.
»Ronnie, mit Gestaltwandlern und Vampiren kann ich kein Armdrücken veranstalten. Einen Kampf mit gleichen Mitteln würde ich verlieren. Ich überlebe nur, und auch meine Leoparden überleben nur, wenn die anderen Gestaltwandler mich fürchten. Sie fürchten meine Drohung. Ich bin nur so gut wie meine Drohung, Ronnie.«
»Also fährst du hin und tötest sie.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber du wirst es tun.«
»Ich versuche, es zu vermeiden.«
Sie zog die Knie an und schlang die Arme um ihre langen Beine. Sie hatte sich eine kleine Laufmasche gezogen und mit einem Tropfen klarem Nagellack gestoppt. Den trug sie für Notfälle in ihrer Handtasche. Für meine Notfälle brauchte ich eine Schusswaffe und hatte meistens nicht mal eine Handtasche.
»Falls du verhaftet wirst, ruf an. Dann hole ich dich raus.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn ich verhaftet werde, weil es Tote gegeben hat, wirst du mich heute Nacht nicht mehr rausholen können. Die Polizei wäre vor Sonnenaufgang nicht mal mit der Vernehmung fertig.«
»Wie kannst du dabei so ruhig bleiben?«, fragte sie.
Mir fiel ein, warum sie und ich angefangen hatten, uns auseinanderzuleben. Genau die gleiche Unterhaltung hatte ich einmal mit Richard geführt, als ein Killer in die Stadt gekommen war, um mich umzulegen. Ich gab ihr die gleiche Antwort. »Ein hysterischer Anfall würde nicht weiterhelfen, Ronnie.«
»Aber du bist nicht wütend darüber.«
»Oh doch.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich meine, es macht dich nicht wütend, dass das überhaupt passiert. Du wirkst nicht überrascht, nicht ...« Sie zuckte die Achseln. »Nicht im Entferntesten angemessen aufgebracht.«
»Nicht so wie du, meinst du.« Ich hob die Hand, um ihr das Wort abzuschneiden. »Für Moraldiskussionen habe ich jetzt keine Zeit, Ronnie.« Ich nahm den Hörer ab. »Ich muss Jean-Claude anrufen.«
»Immer wieder dränge ich dich, dem Vampir den Laufpass zu geben und Richard zu heiraten. Aber vielleicht gibt es mehr als einen Grund, warum du nicht von ihm lassen kannst.«
Ich wählte die Nummer vom Zirkus der Verdammten. Ronnie redete weiter. »Vielleicht bist du nicht bereit, einen Liebhaber aufzugeben, der noch kälter ist als du.«
Die Verbindung kam zustande. »Das Gästebett ist frisch bezogen, Ronnie. Tut mir leid, dass ich unsere Frauengespräche jetzt unterbrechen muss.« Ich drehte ihr den Rücken zu.
Ich hörte ihr Kleid rascheln und wusste, dass sie die Küche verlassen hatte. Ich drehte mich erst wieder um, als ihre Schritte verklungen waren. Es hätte uns beiden nicht gutgetan, wenn meine Tränen groß aufgefallen wären.
3
Jean-Claude war nicht im Zirkus. Ich erwischte dort jemanden am Telefon, der meine Stimme nicht
kannte und nicht glauben wollte, dass ich Anita Blake war, Jean-Claudes gelegentliche Freundin, wie derjenige sich ausdrückte. Also musste ich die anderen Etablissements anrufen. Ich
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