Ankunft
Burgbevölkerung dahingerafft hatte. »Wir müssen damit beginnen, autonome, sich selbst versorgende Kommunen zu etablieren. Ich werde darauf drängen, daß dieser Punkt in unsere Verfassung aufgenommen wird. Doch da der
Fädenregen eine konstante Bedrohung darstellt, dürfen wir nur so viele neue Siedlungen gründen, wie die Drachen im Ernstfall verteidigen können. Ohne den Schutz durch die Drachengeschwader ist an eine Expandierung gar nicht zu denken. Ich will nicht noch mehr kostbare Menschenleben aufs Spiel setzen – nicht nach den Verlusten durch die letzte Seuche.«
Paul setzte eine grimmige Miene auf. Die meisten
Familien in Burg Fort hatten Angehörige verloren, als eine fiebrige Erkrankung die ohnehin von Rückschlägen stark gebeutelte Kolonie heimsuchte. Alte Menschen, Kinder und schwangere Frauen fielen der Epidemie als 138
erste zum Opfer. Ehe die verzweifelt nach einem
Gegenmittel forschenden Mediziner einen Impfstoff
entwickelten, hatte sich die Pest in Windeseile verbreitet und viertausend Tote gefordert. Doch die Infizierten, die überlebten, waren fortan gegen den heimtückischen Erreger immun. Obwohl man nichts unversucht ließ, um den Ursprung des Krankheitserregers zu finden – man prüfte die Nahrungsmittel, die Belüftungssysteme, fahndete in den hydroponischen Komplexen nach
eventuellen allergieerzeugenden oder toxischen
Substanzen – blieben sowohl der Erregertyp als auch der Übertragungsweg ein Rätsel.
Durch das Fieber war ein weiteres Problem entstanden: Es gab eine große Anzahl verwaister Kinder zwischen acht und zwölf Jahren. Die mußten in Pflege—familien aufgenommen werden, und obwohl sich genug
freiwillige Ersatzeltern meldeten, war es nicht immer einfach, für jedes Kind die optimale Umgebung zu
finden.
»Jeder, der die Burg verläßt, muß sich dazu
verpflichten, nur solche … Domizile in Besitz zu
nehmen, die angemessen erforscht und getestet
wurden.« Paul lachte humorlos, und Red deutete ein
Grinsen an. ›Domizile‹ war ein ziemlich hochtrabender Ausdruck für die primitiven Höhlenwohnungen, die auf sie warteten. »Pierre und seine Leute hatten Glück mit ihrem Höhlensystem in …« – Paul schloß kurz die Augen. Es fiel ihm noch immer schwer, den Namen seiner langjährigen Kameradin und Freundin
auszusprechen –»Boll.«
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»Wir haben den Vorteil, daß Tarvi und Sallah damals ein so großes Gebiet erkundeten«, warf Red rasch ein, um Paul Zeit zu geben, sich wieder zu fassen. »Und viele Experten und Fachkräfte wirst du nicht verlieren.
Fort sollte auch in Zukunft das Zentrum für Ausbildung und Lehrtätigkeit bleiben.« Red dachte an das Labyrinth aus Tunneln und Kavernen, das von der eigentlichen Burg abzweigte und als Quarantänezone für die am Fieber erkrankten Bewohner gedient hatte. Später hatte man die einzelnen Höhlenkammern dann zu
Werkstätten, Klassenräumen und Schlafsälen umgewandelt, nicht zuletzt, um das übervölkerte Burgareal ein wenig zu entlasten.
Mit frischer Spannkraft fuhr Paul fort: »Und wer geht mit dir, Red? Deine Enkelkinder?« Er schmunzelte in sich hinein. Red und Mairi konnten sich über einen Mangel an Enkeln nicht beklagen. Sorka schien fast jedes Jahr ein Baby zu bekommen, trotzdem ritt sie
fleißig im Königinnengeschwader mit, und der Dienst war anstrengend.
Red und Mairi kümmerten sich um die fünf Spröß-
linge, um Sorka und Sean zu entlasten, die mit dem
Training der jungen Drachen und der Bekämpfung der
Fäden vollauf beschäftigt waren. Michael, der mit seinen neun Jahren der älteste war, verbrachte jede freie Stunde droben im Weyr. Nicht selten borgte er sich für den Ritt auf den Vulkankegel ein Pferd seines Großvaters aus – ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, versteht sich. Sein roter Haarschopf paßte zu seiner Sturheit und seinem eigenwilligen Temperament.
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»Nein«, erwiderte Red mit mehr Erleichterung als
Bedauern. Mit der Aufzucht ihrer eigenen Kinder hatte Mairi genug zu tun, und außerdem versorgte sie die vier Nachkommen von Brian, damit seine Frau, Jair, unter Anleitung von Fulmar Stone ihre Ausbildung zur Maschinen-Ingenieurin beenden konnte. »Von der neuen Siedlung aus wäre es für Michael zu weit, sich andauernd fortzustehlen und zum Weyr zu reiten.« Red lächelte. Der Junge war verrückt nach Drachen, doch sein Vater weigerte sich, ihn vor seinem zwölften Geburtstag als Kandidaten für eine Gegenüberstellung vorzuschlagen. »Wenn Sorka keine Zeit hat,
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