Ankwin - Tod eines Kriegers (German Edition)
hätte die Patrouille am helllichten Tag angegriffen. Der Riese war ein sehr gefährlicher Mann, sonst würde der Hauptmann noch leben.
Was geschehen war, war Bermeer nun klar, doch eine Frage schoss ihm ständig durch den Kopf. Warum? Die Schausteller waren direkt und ohne offensichtlichen Grund angegriffen worden und das nur mit dem einen Ziel, alle männlichen Familienmitglieder zu töten. Der Assassine packte die Schaufel fester.
Wie er es drehte und wendete, ihm fiel immer nur die eine Antwort ein. Jemand wollte sicher gehen, dass er, Bermeer, Brakenburg nie erreichte. Man wusste also, dass er unterwegs war. Man wusste sogar, dass er sich als Gaukler tarnte. Das wirkliche Schlimme an dieser Erkenntnis war aber nicht, dass sein Auftrag damit viel schwerer würde oder dass er dadurch selbst stark gefährdet war, sondern dass wahrscheinlich noch viele weitere Schausteller getötet worden waren und es vielleicht sogar einen Verräter in seiner Gilde gab.
Wina begann die Totenklage. Bermeer begleitete sie auf seiner Flöte.
Er hatte schon einige Männer getötet und ihnen dabei direkt ins Gesicht gesehen, doch niemals Kinder. Er konnte hinterhältig und skrupellos sein und doch liefen ihm die blanken Tränen über die Wangen.
Auf jedem Grab hatte er ein Holzstück gelegt, auf dem der Name des Toten eingeritzt war. Sein Blick ruhte schließlich auf dem Schild von Fered. Das Oberhaupt der Sippe war der gütigste Mensch, den Bermeer in seinem jungen Leben kennengelernt hatte. Er hatte seine Sippe immer über alles andere gestellt. Das einzige, was Fered beinahe genauso wichtig gewesen war, war die Menschen zum Lachen zu bringen. Er hatte immer eine witzige Volksweisheit oder einen passenden Spottreim auf den Lippen gehabt. Wahrscheinlich war es diese Liebe zur Familie und die Freude am Freudebereiten, die Bermeer an Fered so beeindruckt hatte. Sie stand im krassen Gegensatz zu seiner eigenen Ausbildung, ja sogar zum gesamten bisherigen Leben als Assassine. Fered hatte immer Freude gebracht, er brachte immer den Tod.
Bermeer sank auf das rechte Knie, senkte seinen Kopf und fasste den Griff seines Dolches. Er schwor den Toten, dass keiner der Verantwortlichen überleben würde.
Sein Erfolgsprinzip war bis jetzt immer gewesen, Persönliches nie mit einem Auftrag zu vermischen, doch dieses Mal war es persönlich. Plötzlich fühlte er sich zu einem Reim verleitet. »Der Gaukler Tod wird eure Not,
Ihr Herren und Lenker, fürchtet den Henker.«
Ein grimmiges Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Wina stand noch rechts hinter ihm. Als sie bemerkte, dass seine Schultern zuckten, legte sie ihre linke Hand zärtlich darauf, um den Weinenden zu trösten. Sie erschrak, als sie merkte, dass er zu lachen begann – lauter und immer lauter.
Die Liste
(Brakenburg im Herbst)
Tief beugte sich der alte Mann über den Tisch und studierte die vergilbten Unterlagen. Manchmal lachend, manchmal fast weinend durchlebte Theodus noch einmal die Vergangenheit. Unzählige Erinnerungen waren vom tiefen Grund losgerüttelt worden und hatten sich durch die Erschütterungen der berührten Seele an deren Oberfläche gezeigt.
Der Korb mit den Speisen war längst aufgebraucht und auch das Wasser war zur Neige gegangen. Die magisch entzündete Lampe war ebenfalls erloschen. Der Umstand, dass bereits das fahle Licht der herbstlichen Morgensonne das Arbeitszimmer in ein schwaches Gelb tauchte, hatte es dem alten Mann möglich gemacht, weiter zu lesen und so hatte er die Zeit vergessen. Er las immer noch mit der gleichen Verbissenheit wie am Anfang.
Doch jede Verbissenheit findet ihr Ende im Kampf gegen einen knurrenden Magen, einen klebrigen Gaumen, das Verlangen nach Schlaf und das Bedürfnis, die Körperhaltung zu ändern.
Theodus stand schließlich auf, legte die Hände auf den tiefen Rücken und streckte das Becken vor. Schmerzend machten sich seine Knochen bemerkbar.
Er blickte nachdenklich aus dem Fenster. Theodus fühlte sich klein und schwach. Warum hatte Ankwin seine Freunde von einem auf den anderen Tag verlassen? Sie waren äußerst erfolgreich gewesen in ihren Unternehmungen, waren bei Fürsten und Königen ein und ausgegangen und man kannte sie im ganzen Land. Warum, Ankwin, warum?
Hin und her gerissen zwischen der Verlockung, sich schlafen zu legen und dem Entschluss, ein Geheimnis zu lüften, wanderte sein Blick über die Gärten vor dem Fenster. Diese waren schon sehr belebt. Gärtner machten sich daran, die Wege vom Laub zu
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