Anleitung zum Müßiggang
konventionelle Zeitschriften- oder Zeitungsinterviews lese, und zweitens sind diese konventionellen Zeitungsinterviews ein Nepp, weil sie oft versuchen, eine objektive Freudsche Psychoanalyse auf der Basis eines nur einstündigen Beieinandersitzens vorzunehmen. (Details wie »er trinkt wieder ein Schlückchen von seinem Meursault« sollen irgendwie das Innerste des Charakters des Prominenten enthüllen.)
Für mich ist das Interessante, was jemand zu sagen hat. Ihr Charakter, ihre Geschichte, ihre Ideen, ihre Einstellung zum Leben: diese Dinge werden in der Konversation zum Vorschein kommen, durch ihre Worte.
Und die Konversation sollte eigentlich nachts stattfinden. »Wählt Hodgkinson, wählt die Konservativen, wählt frühes Schlafengehen«, höhnte mein Freund John Moore eines Abends, als ich um halb 11 verkündete, ich ginge jetzt in die Falle. Dr. Johnson fand Leute, die früh zu Bett gingen, so unerfreulich, dass er den Ausspruch prägte: »Wer vor Mitternacht schlafen geht, ist ein Halunke.« Die ersten Kutschen sollten um 2 Uhr morgens aufbrechen, und jedem, der länger aufbleiben wolle, solle dies freistehen. Denn nachts, wenn man die Sorgen des Tages abgeschüttelt hat, beginnen Wein und Gespräch zu fließen. Daher die historische Praxis, die lange in England üblich war und laut der es eine Frage der Ehre ist, wer am meisten trinkt und am längsten aufbleibt. »Trinken vor allem war allgemeine Praxis«, schrieb der Historiker des zwölften Jahrhunderts, William of Malmesbury, über die Sitten der kleinen Leute zur Zeit der Eroberung durch die Normannen, »mit dieser Beschäftigung verbrachten sie ganze Nächte wie auch Tage … Sie waren es gewohnt zu essen, bis sie platzten, und zu trinken, bis ihnen übel war.« Und Robert Burns schildert diesen Brauch in seinem Gedicht »Willie Brewed« so:
Das ist der Mond, ich kenn sein Horn,
Das glitzert von des Himmels Bläu’;
Nach Hause leuchten will er uns,
Doch der kann warten, meiner Treu!
Der erste, der nach Hause will,
Der soll ein Lump und Schurke sein;
Doch wer zuletzt vom Stuhle fällt,
Der sei der König von uns drei’n.
Was ist gute Konversation? Dabei geht es sicher nicht um Angeben und darum, wer am lautesten schreit. Manche können reden und hören nicht zu. Manche hören zu, ohne zu reden. Beide sind gleich lästig. Der gewandte Unterhalter kann beides gleichermaßen. Denn wenn man redet, ohne zuzuhören, wird man zu einer, wie mein Freund Marcel Theroux es nennt, »Monolog-Jukebox«, die auf das Stichwort für einstudierte Reden wartet.
Ideen werden in der Konversation geboren und werden von der versammelten Runde ausgeschmückt, verbessert, bekämpft oder in Fetzen gerissen. Freunde tischen Anekdoten auf, die irgendeinen Gedanken entweder bestätigen oder widerlegen. Eigene Ideen werden entwickelt, modifiziert. Sie werden vom Museumsbord heruntergeholt, abgestaubt und ausgestellt. Und ihr wahrer Wert wird enthüllt: der Diamant stellt sich als ein Stück Glas heraus, und der nichtssagende Stein als seltenes Fossil.
Gute Konversation ist ein Kennzeichen geistiger Generosität. Ich bin Schriftstellern begegnet, die sich zum Beispiel weigern, über ihre Arbeit zu reden, solange sie im Entstehungsprozess ist. Sie entschuldigen die Knauserigkeit gespreizt mit Argumenten wie etwa: »Ich möchte es mit Reden nicht verhexen« oder »Wenn ich’s totrede, kann ich’s nicht mehr schreiben« – was mich vermuten lässt, dass es sich um ziemlich substanzlose Ideen handeln muss, wenn sie sich, kaum in Worte gefasst, sofort in Luft auflösen. Es gibt auch die Furcht, dass jemand in der versammelten Runde sich die Gedanken oder Ideen für seine eigene Arbeit zunutze machen könnte – wahrhaftig eine arrogante Vermutung. Johnson, wie wir wissen, hatte kein solches Vorurteil. Er saß nicht in der Ecke und bewegte in der Stille großartige Gedanken und dachte bei sich: »Das behalte ich für mich.« Er spuckte alles aus, spreizte sich wie ein Pfau, stellte dogmatische Behauptungen auf, dozierte und disputierte bis in die frühen Morgenstunden. Seine Liebe zur Geselligkeit war auch eine Angst vor Einsamkeit; er weigerte sich heimzugehen, wo er allein mit seinen Dämonen liegen würde. Es war diese Furcht, die ihn Burtons Mittel gegen die Melancholie, »Sei nicht einsam, sei nicht müßig«, in »Wenn einsam, sei nicht müßig, und wenn müßig, sei nicht einsam« abmildern ließ.
Für Johnson verband ein gutes Gespräch Lernen und Erfahrung. Sein
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