Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
das andere hellbraun, wie Honig.“ Er lächelte selig. „Meine Mutter sagte damals, ich sollte die Finger von ihr lassen. Aber das wollte ich nicht. Ich konnte es auch nicht. Ich liebte sie von dem Moment an, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte.“ Er seufzte und fügte nach einer Weile hinzu: „Sie wusste auch, dass sie im Kindbett sterben wird. Aber sie wollte dich trotzdem.“
Die junge Frau blickte ihn aufmerksam an. „Du hast mich also weggegeben nicht, weil du mich nicht haben wolltest?“
Er lächelte. Wärme spiegelte sich in seinem Blick. „Ich wollte, dass du dein Leben lebst. Ein Leben, was wirklich deins ist. Ich wusste, dass es für dich hier nicht das Wahre war. Hier würdest du dich eher leben lassen müssen.“
Anna hob die rechte Augenbraue und guckte ihn fragend an. „Wie meinst du das?“
„Ich meine, du hättest dich sehr anpassen müssen, um hier klarzukommen und die Dinge tun, die du im Grunde nicht wolltest. Dein Leben wäre von Erwartungen der Sippe bestimmt. Und das hätte zu Konflikten geführt, die im Grunde keiner brauchte. Das wäre nicht das Leben, das für dich richtig war.“ Er nahm einen Schluck von seinem Tee. „Als die große weiße Schamanin kam und nach dir fragte, war mir klar, dass es das ist, wovon damals deine Großmutter gesprochen hatte. Das erste Teil ihrer Prophezeiung hatte sich bereits bis dahin erfüllt.“ Er seufzte, sah ihr in die Augen und sagte leise: „Ich habe dich der weißen Schamanin anvertraut nicht, weil ich dich nicht liebte. Ich gab dich ihr, weil es dein Schicksal war und ich nichts Falsches, was deine Zukunft anbetrifft, machen wollte.“
Sie schwiegen eine Weile.
Dann sagte Anna leise: „Meine Mutter hat mich also gar nicht wirklich kennengelernt.“
„Dazu hatte sie nicht allzu viel Zeit. Es ging mit ihr viel zu schnell bergab“, seufzte der Vater. „Aber sie hat dir etwas hinterlassen. Sie wollte unbedingt, dass es bei dir auch ankommt.“ Er stand auf, ging zum Herd, goss heißen Tee in die Pialas nach, kam zurück und setzte sich wieder. Dann holte er aus dem Beutel am Hals einen schmalen Ring und gab ihn seiner Tochter. „Der gehörte ihr.“
Die junge Frau legte ihn auf die offene Handfläche und musterte ihn von allen Seiten. Er war aus hellem Metall, schmal und schlicht. Sie streifte ihn über den kleinen Finger und streckte den Ellbogen. „Schön ist er. Es ist, als wenn er Wärme ausstrahlt“, flüsterte sie.
Der Vater nickte. „Es ist sie, die Wärme deiner Mutter.“
Sie lächelte zaghaft.
„Deine Mutter hat mich gebeten, dir etwas auszurichten, wenn du groß bist“, sagte er und sah sie eindringlich an.
Anna blickte zu ihm auf.
„Sie sagte, egal welche Monster du in deinem Leben zu bekämpfen vermagst, egal, gegen welche Grausamkeit oder Ungerechtigkeit du eintreten wirst, eins darfst du nicht vergessen: Es gibt eine enorme Kraft, die imstande ist, das scheinbar Unmögliche möglich zu machen.“
Die junge Frau nahm einen Schluck aus ihrer Piala.
„Sie ist die Einzige, die überall ihre Gültigkeit hat und in allen Welten wirklich ist.“
Anna neigte den Kopf zur Seite und sah erstaunt in die schmalen, klugen Augen.
„Und diese Kraft trägst du in dir“, sagte der Vater. Er machte eine Pause, setzte dann hinzu: „Wie jedes andere Lebewesen.“
Sie beugte sich vor und streichelte den Hund vor ihren Füßen über den Rücken, der im Schlaf wieder aufgeheult hatte
„Ich weiß nicht, ob du es jetzt begreifen kannst“, seufzte er und sah sie prüfend an. „Jedenfalls, deine Mutter sagte, diese Kraft kann sich nur entfalten, wenn du eine richtige innere Haltung hast und dein Herz rein ist, frei von Angst, Hass, Groll oder Trauer. Sie erwacht, wenn du allem, was bis dahin in deinem Leben passiert ist, ehrlich gedankt hast, vom ganzen Herzen verziehen und selbst um Verzeihung gebeten hast. Dann ist das Unmögliche möglich. Dieser Kraft wird nachgesagt, dass sie wahre Wunder bewirkt, große wie kleine.“
„Wie heißt sie?“
„Das weiß ich nicht, das hat sie nicht gesagt, aber was sie sagte, war es, ein großer Teil davon heißt Liebe“, antwortete der Vater ernst. „Die Rede ist nicht von Feuer und Flammen, die schnell da sind, aber ebenso schnell, spätestens nach zwei Jahren erloschen. Es geht um die Art von Liebe, die bleibt, wenn das mit dem Strohfeuer vorüber ist. Es ist etwas, was mit tieferem Verständnis der Dinge, der allumfassenden Dankbarkeit, und vor allem mit der richtigen
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