Anne Gracie
drittes
Toastdreieck verspeiste. Der winzige Klecks Marmelade blieb in ihrem
Mundwinkel.
Ein
Mundwinkel, der zum Küssen einlud.
„Tee?“,
fragte er. Ohne ihre Antwort abzuwarten, schenkte er ihr eine Tasse ein und
fügte Milch und ein wenig Zucker hinzu. Der Tee würde den Marmeladenklecks
abwaschen.
„Du hast
dich daran erinnert, wie ich meinen Tee gern trinke“, stellte sie fest,
als er umrührte und ihr die Tasse reichte.
Natürlich
erinnerte er sich daran. Er erinnerte sich an alles, was sie in seiner
Gegenwart je gesagt oder getan hatte.
Sie trank
einen Schluck und verzog das Gesicht. „Kalt.“ Sie stellte die Tasse ab.
„Wir haben uns zu lange Zeit mit dem Ei gelassen.“ Das klang, als bereute
sie das nicht im Geringsten.
Für ihn
spielte das keine Rolle mehr. Sie hatte ihre Chance gehabt. Dieser
Marmeladenklecks war immer noch in ihrem Mundwinkel und
Harry konnte ihn keinen Moment länger dort lassen.
Er sah ihr
tief in die Augen und beugte sich so weit vor, bis sein Mund nur noch wenige
Zentimeter von ihrem entfernt war.
Nell kam
ihm entgegen und bot ihm stumm ihren Mund. Leise aufstöhnend leckte er den
Marmeladenklecks ab. „Süß“, murmelte er. Wieder
leckte er zart über ihre Lippen, obwohl keine Marmelade mehr da war.
„Köstlich.“
Mit der
Zungenspitze zeichnete er verspielt die Umrisse ihrer Lippen nach, bis sie
seufzte und sich ihm öffnete. Er zog sie fester an sich und vertiefte den Kuss.
Ihr
Geschmack brachte sein Blut in Wallung, während er das Innere ihres Mundes
kostete und erkundete. Er spürte, wie sie erschauerte
und sich ihm entgegenstreckte. Sie berauschte seine Sinne wie schwerer, süßer
Wein. Etwas vor sich hin murmelnd, strich sie ihm mit den Händen über die
Wangen und schob die Finger in sein Haar. Sein Kuss wurde noch
leidenschaftlicher, als er merkte, wie sein glühendes Verlangen auf sie
übergriff.
Sie
erwiderte den Kuss blind und leidenschaftlich, nur seinen Bewegungen und ihrem
Instinkt folgend. Er schmeckte salzig, würzig und nach Mann, und er küsste sie
so verlangend und fordernd, dass ihr schwindelig wurde.
Dieser Kuss
weckte in ihr einen Hunger, den sie noch nie zuvor verspürt hatte; ein Hunger,
der nichts mit Essen zu tun hatte. Sie liebte es,
wie Harry sich anfühlte, wie er schmeckte. Sie mochte das leichte Schaben
seines Bartes an ihrer Haut. Sie umfing ihn mit ihren Armen und drängte sich
mit dem ganzen Körper an ihn, in einem Rhythmus, der ihr vage bekannt vorkam.
Und dann spürte sie, wie etwas gegen sie drückte, und die Erinnerung war wieder
da.
Helle Panik
löschte das Feuer in ihrem Innern. Entsetzt über sich selbst, über das, was sie
beinahe getan hätte, über das, wonach sie sich gesehnt hatte, brach sie
den Kuss ab und starrte ihn an. „Nein“, flüsterte sie. „Ich kann
nicht.“
Er rührte
sich nicht, und sie machte sich darauf gefasst, ihn wegstoßen zu müssen. Sie
war noch nicht bereit, es war noch zu früh, zu
verstörend. Sie musste nachdenken, und das konnte sie nicht, solange er
in ihrer Nähe war.
Doch bevor
sie sich bewegen oder etwas sagen konnte, ließ er sie los und
trat schwer atmend einen Schritt zurück. „Du hast recht.“ Seine Stimme
klang heiser und atemlos. Er strich sich mit der Hand
durch das dichte dunkle Haar. „Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen.
Noch nicht. Nicht, ehe wir verheiratet sind und du es auch willst. Ich
verspreche dir, deine Tugend ist bei mir in sicheren Händen. Gute Nacht.“
Er strich ihr liebevoll über die Wange und ging zur Tür.
Nell sah
ihm fassungslos nach, ihre Gedanken überschlugen sich. Sie hatte Nein gesagt,
und er hatte das respektiert. Er hatte sie sofort
freigegeben und dann etwas gesagt, das ihre Schutzmauern eingerissen
und den Weg geradewegs in ihr Herz gefunden
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