Anne Gracie
Feldzug plante. Bei dem Gedanken schnürte sich ihr die Kehle zu.
Cooper
griff nach der Bürste und begann, Nells Haar auszubürsten.
Nell saß
tief in Gedanken versunken da. Weil er sie begehrte, würde Harry Morant Nell
heiraten und ihr alles zurückgeben, was sie im Leben verloren hatte – eine
gesicherte Zukunft, eine angesehene Stellung und das Zuhause ihres Herzens. Sie
würde sogar die Gelegenheit haben, Pferde zu züchten, so wie sie es sich immer erträumt
hatte.
Falls,
nein, wenn sie dann auch noch Torie fanden, würde es beinahe so sein,
als wären all die schrecklichen Ereignisse des letzten Jahres ausgelöscht und
nur das Gute bliebe übrig. Abgesehen von Papas Tod.
Und alles
nur aus einem Grund.
Verlangen.
Begehren.
Harry
begehrte eine Frau, die allein den Gedanken an körperlichen Kontakt zu einem
Mann abstoßend fand.
Sie
befeuchtete ihre Lippen. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, dachte sie,
nicht mit Harry. Äußerlich fand sie ihn sehr reizvoll – sogar schön, wenn man
diese Bezeichnung für einen Mann benutzen konnte. Und sie mochte ihn. Mehr als
nur das, flüsterte ihr eine innere Stimme zu, auch wenn er davon nichts wissen
wollte ... Außerdem dauerte es ja nicht lange. Und selbst wenn es unangenehm
war, die Folgen konnten himmlisch sein. Sie dachte an Torie und betete darum,
sie heil wiederzufinden.
Stuten
schienen sich beim Deckakt ebenfalls nie wohlzufühlen. Was eine Stute ertragen
konnte, konnte Nell auch ertragen. Sie hoffte nur, dass er sich damit
zufriedengab.
Denn das,
was sie ihm im Überfluss geben konnte, das wollte er ja nicht.
Liebe.
Sie liebte
Harry Morant. Sie war sich nicht sicher, wann es angefangen hatte. Vielleicht
schon am ersten Tag im Wald, als er sie so lange und eindringlich mit seinen
grauen Augen angesehen hatte. Danach hatte er ihr seinen Hut gegeben ...
Oder als er
sie zum ersten Mal geküsst hatte. Damals hatte sie dieses Gefühl noch
verdrängt, weil sie geglaubt hatte, er wäre ein Hindernis auf ihrer Suche nach
Torie.
Vielleicht
war es auch der Moment gewesen, als er gesagt hatte: Sie wird natürlich bei
uns leben.
Oder als
ihr bewusst geworden war, dass er sie nachts im Arm hielt, um Schaden von ihr
fernzuhalten, und dafür nie etwas von ihr verlangte, obwohl er sie so sehr
begehrte.
Er hatte
sie nie um etwas gebeten.
Wahrscheinlich
bat er nie jemanden um irgendetwas. Das war eine Art, sich vor Verletzungen zu
schützen, vor zu viel Nähe. Nell war auch so gewesen.
Doch man
konnte sich nicht ewig schützen. Nell hatte das erste zarte Flattern unter
ihrem Herz gespürt und augenblicklich hilflose Liebe für
das winzige Wesen empfunden, das in ihr heranwuchs. Und das war noch gar nichts
gewesen im Vergleich zu dem Moment, als sie Torie dann im Arm gehalten und den
Duft ihrer kleinen Tochter eingeatmet hatte. Sie würde alles tun, um Torie zu
schützen. Alles.
Dennoch war
ihr das nicht gelungen; sie hatte fest geschlafen und zugelassen, dass Papa ihr
ihre Tochter wegnahm. Allein bei dem Gedanken wurde ihr übel.
Es klopfte
und Cooper legte die Bürste weg, um die Tür zu öffnen. Sie kam mit einem
abgedeckten Tablett zurück. „Ihr Abendessen, Mylady. Mr Harry hat angeordnet,
dass die Köchin es zu Ihnen nach oben schickt.“
Nell
schüttelte den Kopf. „Ich möchte nichts essen, danke. Bringen Sie es
zurück.“
Cooper
zögerte und ging mit dem Tablett aus dem Zimmer.
„Wo wollen
Sie damit hin, Cooper?“ Harry hatte gesehen, wie das Tablett vor noch
nicht einmal zwei Minuten nach oben gebracht worden war. Nell konnte unmöglich
schon alles aufgegessen haben.
„Mylady
sagte, sie wünscht kein Abendbrot.“
„Hat sie
überhaupt irgendetwas davon gegessen?“
Cooper
schüttelte den
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