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Anne Gracie

Anne Gracie

Titel: Anne Gracie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zarte Küsse der Sehnsucht
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ge­glaubt hat­te, küss­te er den Brief
und flüs­ter­te: „Viel Glück.“
    Er steck­te
das Schrei­ben ein und ging nach drau­ßen. Wenn er ihn jetzt nicht gleich zur
Post brach­te, wür­de er nur wie­der kal­te Fü­ße be­kom­men.
    Es war
der sieb­te Tag
ih­rer Su­che. Die blei­che Win­ter­son­ne ging im Wes­ten lang­sam un­ter und Nell und
Har­ry be­fan­den sich auf der Rück­fahrt nach Lon­don. Nell saß in sich
zu­sam­men­ge­sun­ken ne­ben ihm und starr­te schwei­gend in die vor­bei­zie­hen­de
Land­schaft.
    Sie hat­ten
die letz­te Adres­se auf ih­rer Lis­te ab­ge­hakt.
    Zu viert
hat­ten sie je­des ein­zel­ne Ar­men­haus be­sucht, je­des Fin­del­haus, die An­stalt für
weib­li­che Wai­sen in West­mins­ter, je­de wohl­tä­ti­ge Ein­rich­tung, die sich um
Wai­sen und un­er­wünsch­te Kin­der küm­mer­te, so wie je­de Am­me in und um Lon­don
her­um, die mit Wohl­tä­tig­keits­ver­ei­nen zu­sam­men­ar­bei­te­te.
    Nir­gend­wo
ein Hin­weis auf To­rie.
    In ei­nem
letz­ten ver­zwei­fel­ten Ver­such hat­ten sie be­schlos­sen, die Rei­se von Nells Va­ter
nach­zu­stel­len, von dem Haus, in dem Nell To­rie ge­bo­ren hat­te, durch das Dorf,
in dem er ge­stor­ben war und von dort nach Lon­don.
    Sie hat­ten
ei­ni­ge Zeit in dem Dorf ver­bracht und dort die Leu­te be­fragt. Nein, er hat­te
kei­nen Korb und auch kein Kind bei sich ge­habt, als er zu­sam­men­ge­bro­chen war.
Und nein, nie­mand in der Um­ge­bung hat­te plötz­lich ein Ba­by an­ge­nom­men.
    Ja, er war
von Lon­don kom­mend ins Dorf ge­rit­ten, da war man sich ganz si­cher.
    Nell hat­te
Blu­men auf Pa­pas Grab ge­legt, dann wa­ren sie wei­ter­ge­fah­ren und hat­ten in
je­dem noch so klei­nen Wei­ler halt­ge­macht und sich um­ge­hört. Es ist
hoff­nungs­los, dach­te Har­ry. Es war jetzt sie­ben Wo­chen her.
    Er hat­te
ge­hofft, das vie­le Her­um­fra­gen wür­de es für Nell leich­ter ma­chen, sich mit dem
Ver­lust ih­rer Toch­ter ab­zu­fin­den, aber er be­fürch­te­te, dass sie nie dar­über
hin­weg­kom­men wür­de.
    Sie muss­ten
jetzt lang­sa­mer fah­ren, weil in ei­nem win­zi­gen Wei­ler, der nur aus ei­ner
ein­sa­men Kir­che und ein paar Cot­ta­ges zu be­ste­hen schi­en, ei­ne Her­de Gän­se
über die Stra­ße ge­trie­ben wur­de.
    Als sie an
der Kir­che vor­bei­fuh­ren, rich­te­te Nell sich plötz­lich auf. „Halt!“, rief
sie. „Halt an! So­fort!“
    Har­ry
brach­te die Pfer­de zum Ste­hen, aber sie war längst vom Ge­fährt ge­sprun­gen und
rann­te zu­rück zur Kir­che. „Hier, hal­te die Pfer­de“, sag­te er zu dem
Gän­sehir­ten und drück­te ihm die Zü­gel in die Hand. „Du kannst dir da­mit einen
Schil­ling ver­die­nen.“ Er eil­te Nell nach.
    Sie stand
vor dem Por­tal der Kir­che und zeig­te auf einen Ge­mü­se­korb, der auf der Er­de
stand.
    „Was ist
denn das?“, frag­te er.
    Sie dreh­te
sich zu ihm um und ihr Ge­sicht leuch­te­te. „Ein Korb.“
    Er run­zel­te
die Stirn und schüt­tel­te ver­ständ­nis­los den Kopf.
    „Leu­te
hin­ter­las­sen im­mer wie­der Din­ge in Kör­ben vor ei­ner Kir­chen­tür“, er­klär­te
sie auf­ge­regt. „Und Ba­bys. Sie hin­ter­las­sen dort auch Ba­bys. Wie oft hast du
schon von Ba­bys ge­hört, die auf den Stu­fen ei­ner Kir­che aus­ge­setzt wor­den
sind?“
    So gut wie
nie, dach­te Har­ry. In Spa­ni­en kam das ziem­lich oft vor, wie er wuss­te, aber das
wa­ren meist Klös­ter, und die Non­nen nah­men die Kin­der auf. Er ver­mu­te­te, dass
eng­li­sche Vi­ka­re so et­was eher sel­ten ta­ten.
    „Wir ha­ben
nie dar­an ge­dacht, die Kir­chen selbst zu über­prü­fen.“
    Har­ry wur­de
das Herz schwer. Wie­der wa­ren sie einen Schritt wei­ter auf dem Weg zu ei­nem
ge­bro­che­nen Her­zen. Da­bei war es schon bis­lang quä­lend ge­nug ge­we­sen, mit
an­se­hen zu müs­sen, wie sie sich mehr und mehr ver­zehr­te vor Sor­ge und Kum­mer –
und nichts da­ge­gen tun zu kön­nen.
    „Und die­se
hier ist St. Ste­phen's! “, füg­te sie an­ge­spannt hin­zu. Er sah sie ver­wirrt
an.
    „Pa­pas
zwei­ter Vor­na­me war Ste­phen. Das könn­te ein Omen sein. Er hat an Omen ge­glaubt.
Wir müs­sen fra­gen!“ Sie lief auf das Pfarr­haus zu.
    Har­ry
folg­te ihr ver­zagt.

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