Anne Gracie
...“
Feuchte
Haarsträhnen klebten an ihren Wangen und an ihrer Stirn, er strich sie zurück
und küsste die Stellen, wo sie gelegen hatten, Wangen, die Schläfen und die
Lider.
Nell sah
ihn mit tränenfeuchten Augen an, und er küsste ihre Augenwinkel und dann die
empfindsame Stelle hinter ihrem Ohr. Sie kuschelte sich an ihn wie eine Katze.
Sein Verlangen regte sich erneut, während er sie weiter küsste, streichelte und
tröstete.
Dieses Mal,
so nahm er sich fest vor, würde es allein darum gehen, ihr Lust zu bereiten. Er
würde nicht mit ihr „verkehren“, wie sie es nannte, sondern sie lieben.
Schon
wieder dieses Wort. Liebe.
Er schloss
die Augen und fuhr fort, Nell zu küssen.
„Nein“,
sagte sie plötzlich und stieß ihn fort.
Er
erstarrte. Was hatte er falsch gemacht?
„Hast du
eben nicht die Uhr schlagen hören?“ Sie setzte sich auf. „Es ist Viertel
vor acht. Rafe und Luke werden jeden Augenblick hier sein. Wir müssen uns
anziehen, damit wir gleich losfahren können.“ Sie entwand sich seinen
Armen und stand auf.
Harry
wickelte seufzend die Bettdecke um sich.
Ein weiterer erfolgloser Tag des
Suchens. Es war kalt geworden, und Nell hüllte sich in eine Pelzdecke. Wegen
des Regens am Morgen hatte Harry eine geschlossene Kutsche mit einem Kutscher
bestellt. Diese bot ihnen nicht nur Ungestörtheit, sondern auch Schutz vor dem
Wetter. Nell saß mit hochgezogenen Beinen neben Harry, kuschelte sich in seinen
Arm und bettete die Wange an seine Schulter.
So
angespannt der Liebesakt am Morgen auch gewesen sein mochte, so hatte er doch
bewirkt, dass sie unbefangener körperliche Nähe zulassen konnte. Darüber war
Harry froh.
Während der
letzten halben Stunde hatte Nell fast durchweg geschwiegen.
Sie konnten
nicht viel sehen, durch den Nieselregen beschlugen die
Fenster, doch das gleichmäßigere Rollen der Kutsche verriet ihnen, dass sie
wieder auf der Hauptstraße fuhren und sich London näherten. Die Laternen der
Kutsche waren kurz zuvor angezündet worden. Sie schwangen im Rhythmus der
Pferdehufe und verbreiteten ein verschwommenes gelbes Licht.
„Papa
brachte ihn nach Firmin Court“, sagte Nell unvermittelt, als setzte sie
eine Unterhaltung fort. „Er hatte irgendwann mit ihm Karten gespielt und lud
ihn zu uns nach Hause ein. Meinetwegen, vermute ich. Papa wollte, dass ich
heirate, und Firmin Court war eine verlockende Mitgift.“
Nell ist
auch ohne Mitgift mehr als verlockend, dachte Harry, aber er unterbrach sie
nicht. Er hatte sofort gewusst, von wem sie sprach. Was er nicht wusste, war,
warum sie gerade jetzt auf ihn zu sprechen kam – vielleicht lag es an der
Intimität der geschlossenen Kutsche, dem gleichmäßig strömenden Regen und dem
einlullenden Klappern der Pferdehufe auf dem Pflaster.
„Ich mochte
ihn auf Anhieb nicht“, fuhr sie fort. „Kennst du das, dass man manchmal
jemanden kennenlernt, gegen den man auf der Stelle eine völlig unerklärliche,
tiefe Abneigung hegt?“
„Ja.“
„Dabei
wusste ich nicht einmal, was für ein Mann er war, ich mochte ihn nur einfach
nicht. Er sah wohl ganz gut aus, aber seine Augen standen zu nahe beieinander
und er hatte einen hässlichen Zug um den Mund. Er lächelte mich unentwegt an
und machte mir ständig Komplimente, doch dabei sah er mich nie richtig an. Die
ganze Zeit sah er sich nur im Haus um und versuchte, seinen Wert
einzuschätzen.“ Sie schwieg einen kurzen Moment. „Ich merkte ihm an, dass
er enttäuscht war. Papa stellte immer alles im bestmöglichen Licht dar. Ich war
eine Schönheit und Firmin Court ein Besitz voller unbezahlbarer Schätze.“
„Du bist
eine Schönheit“, sagte Harry, „und der Besitz wird wieder florieren, du
wirst schon sehen.“
Nell
lächelte. „Sir
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