Anne Gracie
dass das Essen
noch gar nicht angerührt worden war. „Haben Sie keinen Hunger, Sir?“
„Ich bin
halb verhungert, aber ich kann mich nicht bewegen.“
„Sie können sich nicht
bewegen, Sir?“, fragte Evans besorgt nach. „Haben Sie sich verletzt?“
Harry
lächelte verlegen. „Nein, aber man hat mich gefangen genommen.“ Er sah auf
das schlafende Kind in seinem Arm, das Harrys Finger nach wie vor fest
umklammert hielt. „Ich habe schreckliche Angst, dass sie aufwacht und wieder zu
brüllen anfängt. Meine Tochter hat außerordentlich kräftige Lungen.“
„Ihre Tochter, Sir? Ich dachte, sie wäre
...“
„Nein“,
unterbrach Harry ihn mit fester Stimme. „Sie ist meine Tochter. Ihre Mutter und
ich haben wochenlang nach ihr gesucht.“
Evans'
Miene hellte sich auf. „Dann war das alles nur ein schreckliches
Missverständnis, Sir?“
„Richtig,
Evans. Ein schreckliches Missverständnis.“ Niemand brauchte je etwas
anderes zu erfahren. Er betrachtete das kleine Bündel, das sich so beharrlich
an ihm festhielt. „Doch jetzt ist sie wieder da, wo sie hingehört, besser
gesagt, sie wird es sein, wenn sie endlich wieder in den Armen ihrer Mutter
liegt.“
Für die
Heimreise mietete
er eine Kutsche. Zu Pferd wäre Torie zu sehr durchgerüttelt worden. Evans ritt
hinter ihnen her und führte Harrys Pferd mit sich.
Harry hatte
vorgehabt, einen Tragekorb und Babykleidung zu kaufen, doch weder er noch Evans
wussten, wo man solche Dinge erstehen konnte – nach Evans' Erfahrung wurden sie
meist von den Frauen selbst angefertigt –, und so beschloss Harry, dass es
Vorrang hatte, Torie zu Nell zu bringen. Das Wichtigste waren Windeln und
Milch; von beidem hatte Harry genug mitgenommen.
Und so
kehrte Torie in mehrere Handtücher und einen Kissenbezug gehüllt nach Hause zu
ihrer Mutter zurück. Die ganze Fahrt über lag sie in Harrys Armbeuge, es schien
ihr dort ausgesprochen gut zu gefallen. Mit wachen, neugierigen Augen sah sie
sich um, befingerte die Knöpfe seines Umhangs und klammerte sich an seinen
Zeigefinger, sobald er ihn ihr hinhielt.
Als sie in
die Auffahrt von Alverleigh einbogen, schlief die Kleine tief und fest unter
seinem Umhang. Harry hatte ein paar Meilen vorher angehalten, sie gefüttert,
ein Bäuerchen machen lassen und frisch gewickelt, damit sie beim Wiedersehen
mit ihrer Mutter satt, sauber und zufrieden war. Für so ein winziges,
vollkommenes Geschöpf konnte sie nämlich die schlimmsten Töne und Gerüche von
sich geben. Die Kutsche hielt an, und Harry stieg vorsichtig aus, um Torie
nicht zu wecken.
Tymms
öffnete ihm die Tür, doch bevor er etwas sagen konnte, legte Harry beschwörend
den Finger an die Lippen. „Sagen Sie den anderen nichts; teilen Sie nur Lady
Nell – diskret! – mit, dass ein, nein, zwei Besucher sie im blauen Salon
erwarten.“
Tymms
verneigte sich förmlich. Er starb vor Neugier, war aber zu würdevoll, um sich
das anmerken zu lassen.
Nell saß im Damensalon und gab sich größte
Mühe, äußerlich ruhig zu wirken. Geistesabwesend spielte sie mit Freckles' Ohren.
Harry hatte ihr Freckles geschickt. Warum? Weil er dachte, sie brauche Trost?
Natürlich freute sie sich, ihren Hund bei sich zu haben, aber sie hasste es, im
Ungewissen gelassen zu werden. Sie sorgte sich schrecklich um Harry. Seine
Brüder waren zurückgekehrt, aber sie hatten nicht viel mehr erzählt, als dass es
Harry gut ging, dass er noch ein paar Dinge in London zu erledigen hätte und
rechtzeitig zur Hochzeit wieder zurück sein würde.
Sie hatten
ihr auch noch erzählt, Sir Irwin wäre von einer Kutsche überfahren worden. Sie
glaubte ihnen kein Wort, das war eine lächerliche Geschichte.
Und dann
hatten sie schließlich erzählt, sie hätten Sabre schon
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