Anne Gracie
verwirklichen.“
Er aß
seinen Teller leer und lehnte nur halbherzig eine zweite Portion ab. „Die Suppe
ist ausgezeichnet“, sagte er zu Aggie, die das Lob bescheiden abwehrte und
ihn dann doch zu einem Nachschlag überredete.
Er mochte
ein eher ruhiger Mann sein, aber er verfügte über mehr Charme, als streng genommen
erlaubt sein sollte.
Nell
stellte ihm weitere Fragen zu seinen Plänen, und während er von seinem Ehrgeiz
erzählte, Araber zu züchten, Rennen mit ihnen zu veranstalten und sie zu
verkaufen, verspeiste er mehrere dicke Scheiben Toast. Aggie, die es liebte,
Männer zu verköstigen – vor allem große und gut aussehende mit weißen,
ebenmäßigen Zähnen –, sorgte dafür, dass es immer einen Nachschub an frischem,
heißem Toast gab, und stellte sogar einen Topf ihres besten Pflaumengelees auf
den Tisch.
Er schenkte
der alten Frau zum Dank ein verschmitztes, jungenhaftes Lächeln und Nell fügte
Aggie insgeheim der Liste seiner weiblichen Eroberungen hinzu. Aggie strahlte
vor Freude, als er sich reichlich von dem Gelee bediente. Wie es schien, hatte
er eine Schwäche für Süßes. Und er sah tatsächlich unwahrscheinlich gut aus.
Nell
beendete ihre Mahlzeit so schnell wie möglich; sie aß eine halbe Scheibe Toast
und erhob sich dann. „Ich gehe nur rasch und sehe noch einmal nach ...“
„Setzen Sie
sich und ich schenke Ihnen Ihren Tee ein“, forderte Aggie sie auf.
„Aber ich
...“
„Sie
verlassen das Haus nicht ohne eine gute Tasse Tee und das ist mein letztes
Wort“, erklärte Aggie. „Außerdem habe ich heute Morgen Marmeladentörtchen
gebacken, und Sie werden eins davon essen, Mylady, sonst will ich wissen,
warum Sie keinen Hunger haben!“ Sie stellte den Teller mit den
Marmeladentörtchen so energisch vor Nell, als wollte sie ihr einen
Fehdehandschuh zuwerfen.
An der
Anrede „Mylady“ erkannte Nell, dass ihre alte Kinderfrau ernsthaft
bekümmert war über ihre bevorstehende Abreise, und so setzte sie sich gehorsam
wieder hin und knabberte an einem der Törtchen. Verschnupft schenkte Aggie den
Tee ein.
Mr Morant
verspeiste ebenfalls genüsslich ein Törtchen und sah Nell dann erwartungsvoll
an. „So, und was Ihre Zukunft betrifft ...“
„Ich gehe
nach London“, wiederholte sie energisch. Ehe er weiter nachfragen konnte,
zog sie einen Zettel aus ihrer Rocktasche und reichte
ihn Mr Morant. „Diese Liste könnte für Sie am Anfang ganz nützlich sein. Alle
sind bestens zu empfehlen.“ Sie trank ihre Tasse hastig leer und stand
auf. „Jetzt sehe ich noch einmal nach Toffee und ihrem Fohlen, wenn Sie nichts
dagegen haben.“ Sie nahm einen Kessel mit heißem Wasser und verließ die
Küche.
Harry sah
ihr stirnrunzelnd nach. Sie schien ziemlich gereizt zu sein.
„Sie hat
diese Stute mit auf die Welt gebracht“, erzählte Aggie. „Die Mutter war
gestorben und das Fohlen sehr schwach. Miss Nell hat sich um das Kleine
gekümmert, als wäre es ein Menschenkind. Seine Lordschaft wollte es
einschläfern lassen, doch sie hat darum gekämpft und sich durchgesetzt. Noch
ein ganz kleines Mädchen war sie damals, acht vielleicht, aber sie hat ihm tapfer
die Stirn geboten, bis er schließlich nachgab. Sie hat die Stute dann selbst
großgezogen und zugeritten – diese Begabung liegt ihr im Blut, ihre Mama war
genauso. Die ganze Familie war verrückt nach Pferden. Es brach Miss Nell fast
das Herz, als ihr Papa die Stute für eine horrende Summe an andere Leute
verkaufte.“ Kopfschüttelnd wischte sie den Tisch sauber. „Die neuen
Besitzer behandelten das arme Tier ganz grausam, sie hätten es beinahe
umgebracht. Also kratzte Miss Nell ihr letztes Geld zusammen, um die Stute
zurückzukaufen. Das Tier hatte zum Schluss keine Siege mehr
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