Anne Gracie
sich
preisgab. Es war beängstigend, wie schnell er sie zu so etwas bringen konnte.
Eine Weile
saßen sie schweigend da. „Danke, dass Sie mich vor Ihr verteidigt haben. Das
hat mich zutiefst berührt“, sagte Harry. Sie hob verlegen die Hände.
„Im Grunde
stört es mich nicht, Bastard genannt zu werden“, erklärte er. „Ich bin
mein Leben lang so genannt worden. Man gewöhnt sich irgendwann daran.“
„Ich könnte
mich nie daran gewöhnen“, gab sie vehement zurück. „Ich hasse dieses Wort, und in meinem Haus darf es nicht ausgesprochen werden. In meiner
Anwesenheit“, korrigierte sie sich etwas verspätet.
Er sah sie
nachdenklich an. „Ich verstehe.“
„Nein, das
tun Sie nicht“, begann sie, aber als sie gerade eine Erklärung abgeben
wollte, erschien Sprotton mit dem Teetablett. Zu Nells Überraschung standen
darauf nicht nur eine Teekanne, sondern auch ein großer Teller mit Sandwiches,
etwas Ingwergebäck und ein halbes Dutzend Marmeladentörtchen. „Es ist doch gar
nicht Zeit zum Mittagessen!“
„Nein,
Mylady, aber da Mr Harry schon vor dem Frühstück das Haus verlassen hat, dachte
die Köchin, er könnte vielleicht eine kleine Stärkung vertragen.“
Mr Harry,
der bereits an einem Schinkensandwich kaute, nickte und zwinkerte Nell zu.
„Köstlich“, meinte er, nachdem er heruntergeschluckt hatte. „Richten Sie
der Köchin aus, sie hätte wie immer den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich
bedanke mich nachher noch persönlich bei ihr.“ Er bemerkte Nells
überraschten Blick. „Ich habe die Köchin kennengelernt, als mein Bruder Gabriel
und ich noch Heranwachsende waren und ständig Hunger hatten. Sie hat es sich
zur Lebensaufgabe gemacht, uns zu füttern.“ Er nahm sich ein weiteres Sandwich.
„Sie glaubt, ich sei immer noch nicht ausgewachsen“, klagte er.
„Ich werde
sie über ihren Irrtum aufklären“, sagte Sprotton trocken.
„Tun Sie
das, aber auf Ihre eigene Gefahr hin!“ Harry griff lächelnd nach einem
dritten Sandwich. Der Butler verneigte sich ironisch und zog sich lautlos
zurück.
Es war das
erste Mal, dass Nell Harry Morant in seiner heimischen Umgebung erlebte. Ihr
gefiel, wie locker er mit den Bediensteten umging. Dadurch fand sie ihn noch
anziehender als zuvor.
Sie trank
einen Schluck Tee. Sie musste es ihm sagen.
Die Tür
flog auf, und Lady Gosforth schwebte in den Salon. „Was für ein Aufruhr!“,
rief sie aus, nahm den Hut ab und reichte ihn Sprotton, der ihr gefolgt war.
„Noch ein Gedeck für mich, Sprotton. In der Trinkhalle herrscht helle
Aufregung, meine Lieben. Was für ein Eklat! Ganz Bath spricht von nichts
anderem.“ Sie legte ihren Mantel ab, ließ sich aufs Sofa fallen und
betrachtete Nell und Harry mit funkelnden Augen. „Wir müssen also eine
Hochzeit vorbereiten.“
„Ja“,
sagte Harry.
„Nein“,
widersprach Nell.
„Doch“,
betonte Harry.
„Er hat
recht, meine Liebe“, sagte Lady Gosforth zu Nell. „Nach der Szene, die er
in aller Öffentlichkeit gemacht hat, gibt es keine andere Alternative. Hat er
Sie wirklich aus der Trinkhalle und die Straße hinauf getragen?“
„Den ganzen
Weg bis zu unserer Haustür“, murmelte Sprotton, während er Tee
einschenkte, etwas Zitrone hinzufügte und Lady Gosforth die Tasse reichte.
„Herrlich!
Was für eine Geschichte! Harry, mein lieber Junge, das hätte ich dir nie
zugetraut. Soll die Hochzeit in London oder in Bath stattfinden?“
„Es wird
keine Hochzeit ge...“, begann Nell.
„In
London“, erwiderte Harry. „Nell möchte so bald wie möglich nach London
reisen.“
„Ausgezeichnet.
Ich lasse alles vorbereiten.“ Lady Gosforth leerte ihre Tasse und sprang
auf. „Ach, ich liebe Hochzeiten!“
„Wir fahren
schon heute Nachmittag nach London“,
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