Anne Gracie
meiner Tochter
gesucht. Wochenlang bin ich auf der Suche nach ihr durch die Londoner Straßen
gezogen und habe jeden nach ihr befragt, der mir einfiel, aber schließlich
...“
„Schließlich
haben Sie aufgegeben.“
„Nein! Ich
werde niemals aufgeben, nach ihr zu suchen“, erklärte sie vehement. „Mir
ging nur das Geld aus, und dann bin ich auf der Straße zusammengebrochen.“
„Verdammt!
Sie wurden also krank, weil niemand sich um Sie gekümmert hat.“ Er ballte
die Fäuste.
„Nein, ich
hatte nur nicht genug gegessen, das war alles. Ich hatte jeden einzelnen Penny
in die Suche nach Torie gesteckt. So heißt sie, Victoria Elizabeth, nach meiner
Mutter.“ Wieder fluchte er halblaut vor sich hin.
„Da habe
ich dann begriffen, dass ich nicht so weitermachen durfte. Ich konnte meiner
Tochter nicht mehr helfen, wenn ich tot im
Straßengraben landete. Darum kehrte ich nach Hause zurück, nach Firmin Court,
um noch mehr Geld aufzutreiben, damit ich weiter nach ihr suchen konnte.“
Harry
starrte sie an. „Deshalb waren Ihre Füße und Ihre Röcke so schmutzig“,
sagte er langsam. „Weil Sie zu Fuß gegangen sind, nach Hause, den ganzen Weg
von London.“
„Nein,
nicht den ganzen“, beruhigte sie ihn. „Ich bekam mehrere
Mitfahrgelegenheiten.“
„Nicht
einmal eine Stute hätte ich so kurze Zeit nach dem Fohlen auf eine solche Reise
geschickt!“ Er schloss die Augen und murmelte irgendetwas vor sich hin.
„Und als Sie ankamen, mussten Sie feststellen, dass Ihr Zuhause verkauft worden
war.“ Sie nickte. „Anfangs war ich vollkommen verzweifelt, weil ich nicht
wusste, wie ich je wieder nach London zurückfahren sollte; doch dann entdeckte
der Vikar die Anzeige, in der eine Gesellschafterin für eine Dame aus Bristol
gesucht wurde, die sie nach London begleiten sollte. Das war die Antwort auf
alle meine Gebete.“
„Stattdessen gerieten Sie an eine Ausgeburt der
Hölle.“
„Nein, wirklich, mir war es völlig gleichgültig, wie sie sich
aufführte. Solange sie mich nur nach London brachte, damit ich weiter nach
Torie suchen konnte. Mein einziges Problem war nur die Verzögerung, die sich
daraus ergab, dass sie in Bath unbedingt eine Wasserkur machen wollte.“
„Nun, in
dem Punkt sind wir geteilter Meinung, denn wenn sie das nicht getan hätte,
hätte ich Sie niemals wiedergefunden.“ Sie sah ihn verblüfft an. „Wie
meinen Sie das?“
„Ich
dachte, das wäre eigentlich ganz offensichtlich.“
„Sie können
mich doch unmöglich immer noch heiraten wollen!“,
antwortete sie. „Schließlich bin ich eingefallenes Mädchen!“ „Unsinn,
das sind Sie natürlich nicht. Und selbstverständlich will ich
Sie immer noch heiraten.“
„Obwohl ich
ein Kind habe?“
„Ja. Ich
möchte sogar, dass Sie Kinder haben, denn ich wünsche mir eine Familie.“
„Aber was
ist mit Torie?“
„Sobald wir
in London sind, machen wir uns auf die Suche nach ihr.“
„Ich werde
sie niemals weggeben.“
Er runzelte
die Stirn. „Das würde ich auch niemals von Ihnen verlangen.“
„Aber sie
ist – Sie wissen schon – unehelich. Die meisten Männer würden nicht einmal im
Traum daran denken, sich so ein Kind ins Haus zu holen.“
„Ich bin
nicht wie die meisten Männer. Natürlich wird sie bei uns leben.“
Sie konnte
ihn nur anstarren und wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Lippen bebten
und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Er zog ein
Taschentuch hervor und tupfte damit über ihre Wangen. „Meiner Erfahrung nach
macht es keinen Unterschied, ob man
unehelich geboren ist oder nicht. Mein Bruder Gabriel war ein
eheliches Kind, aber sein Vater bildete sich ein, Gabriel wäre nicht sein Sohn,
und er weigerte sich, mit ihm unter einem Dach zu leben.
Als Gabriel größer wurde, sah er
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