Anne Gracie
Möglichkeit ein.“
„Woran
hindern?“
Das wusste
sie ganz genau. „Den Moment immer weiter hinauszuzögern. Komm, spring über
deinen Schatten. Du weißt, dass du mir irgendwann alles erzählen musst. Also
kannst du genauso gut jetzt damit anfangen, dann hast du es hinter dir. Du
wirst dich danach besser fühlen, da bin ich mir ganz sicher.“
Sie sank in
sich zusammen und musste insgeheim zugeben, dass er recht hatte. „Gut, was
möchtest du wissen?“
„Alles, was
du mir heute Morgen nicht erzählt hast.“
„Da gibt es
nicht viel zu erzählen“, erwiderte sie spröde. „Ich wurde schwanger. Als
Papa das herausfand, brachte er mich in ein Haus in einer anderen Grafschaft,
wo ich heimlich mein Kind zur Welt bringen sollte, sodass niemand davon erfuhr
und mein Ruf nicht ruiniert werden konnte. Drei Wochen nach der Geburt meiner
Tochter nahm er sie mir weg, während ich schlief, weil er irrtümlich glaubte,
ich wollte das so. Und dann starb er, bevor ich herausfinden konnte, wohin er
sie gebracht hatte. Das ist alles.“ Sie spreizte die Finger. „Ende der
Geschichte.“
„Nicht
ganz, und das weißt du auch.“ Da waren noch viele Lücken, die Harry
gefüllt haben wollte. Sie sah ihn warnend an, jedoch ohne
Erfolg. „Wer ist Tories Vater?“
Sie zuckte
die Achseln. „Das ist unwichtig.“
Er hieb mit
der Faust auf den Sitz und Nell zuckte zusammen. „Natürlich ist das wichtig!
Wer ist der Schurke und wo zum Teufel steckt er? Warum hat er dich nicht
geheiratet? Warum hat er dich mit alldem allein gelassen?“
Sie presste
die Lippen aufeinander und wandte den Blick ab. Trotzdem hatte er vorher noch
einen Ausdruck in ihren Augen wahrnehmen können, für den er sich am liebsten
selbst geohrfeigt hätte. Scham. Sie schämte sich. Natürlich. Und er überfuhr
sie rücksichtslos wie ein Grobian. Er zwang sich, ruhiger zu werden, und beugte
sich freundlich vor. „Du musst doch einsehen, dass es wichtig ist, wer der
Vater deines Kindes ist. Ich muss es wissen.“
„Warum?“,
forderte sie ihn heraus. „Wenn du seinen Namen weißt, ändert das auch nichts.
Das alles ist Vergangenheit und so soll es auch bleiben. Wieder daran zu
rühren, macht nur ... unglücklich.“
„Das tut
mir leid, aber ich kann nicht aufhören an ihn zu denken“, gab er zu.
Sie
verschränkte die Arme und sah eine Weile aus dem Fenster. „Also gut, wenn du es
unbedingt wissen willst – er ist tot.“
Er runzelte
die Stirn und war sich nicht sicher, ob er ihr das glaubte. Wenn der Schuft tot
war, warum dann diese ganze Geheimniskrämerei? „Tot? Was ist passiert?“
„Er ist
ertrunken. Er fuhr zur See, und sein Schiff ist während eines Sturms
untergegangen.“
„Wie hieß
das Schiff? Wohin wollte er?“
„Also ist
das doch ein Verhör!“, fuhr sie ihn an.
„Nein.
Entschuldige.“ Er lehnte sich zurück und versuchte, entspannt zu wirken.
Er war nicht entspannt, ganz und gar nicht. Seine Nerven waren zum Zerreißen
angespannt. Er riss sich zusammen. „Wie hast du ihn denn kennengelernt, diesen
... Wie hieß er?“
„Er war ein
Freund von Papa“, erklärte sie. „Papa brachte ihn eines Tages mit nach
Hause und ... wir verliebten uns ineinander. In der Nacht, bevor er abreiste
... nun ja, du weißt schon. Ein paar Wochen später merkte ich, dass ich in
anderen Umständen war, und kurz darauf kam er ums Leben.“ Sie zuckte die
Achseln. „Den Rest der Geschichte kennst du.“
„Eine sehr
ergreifende Geschichte.“ Harry glaubte ihr kein Wort, Nell hatte sie mit
viel zu wenig Gefühl erzählt. Sie war ein sehr emotionaler Mensch, nie hätte
sie so gelassen über den Tod ihres Geliebten sprechen können. Doch im Moment
wollte er noch nicht weiter nachhaken, denn sonst wäre sie nur noch abweisender
und verschlossener geworden. „Erzähl mir von dem Haus, in dem du untergebracht
wurdest.“
„Ich
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