Anne Gracie
Verlangen regte sich beinahe schmerzhaft.
Er
ignorierte es. Er hatte Wichtigeres zu tun, sein Verlangen konnte warten. Nell
war jetzt sein, und er musste auf sie aufpassen. Und wenn es nach ihm ging,
würde sie nie wieder einsame Nächte durchwandeln.
Nell
wurde langsam wach.
Sie fühlte sich warm, behaglich und sicher.
Ein Arm
hielt sie umfangen. Sehnig, haarig, männlich. Sie spürte noch etwas
anderes, ebenfalls sehr Männliches. Da lag ein Mann in ihrem Bett. Ein ziemlich
erregter Mann.
Sie riss
die Augen auf. Mit einem panikerfüllten Aufschrei schlug sie nach dem Mann, der
sie festhielt. Wild um sich tretend und die Fäuste schwingend gelang es ihr,
aus dem Bett zu fliehen, eine der Bettdecken zerrte sie mit sich.
Sie wich
zurück und starrte den Mann in ihrem Bett an.
Er setzte
sich auf und rieb sich die Brust. Seine nackte Brust. Nell versuchte, nicht
hinzustarren. „Au“, sagte er. „Für eine Lady kannst du ganz schön
zuschlagen.“ Er lächelte sie verschlafen an. „Aber ich verzeihe dir. Ich
hoffe, du hast gut geschlafen. Wenn ja, waren meine Bemühungen wenigstens nicht
umsonst.“
Ob er wohl
ganz nackt war? Das, was sie von ihm sehen konnte, war jedenfalls nackt. Und
mehr wollte sie nicht sehen. „Bemühungen? Was für Bemühungen? Und was machst
du hier?“
Er lächelte
nur bedächtig.
„Was machst
du in meinem Bett?“, wiederholte sie aufgebracht.
Er streckte
sich, rieb sich die Augen und sah einfach hinreißend aus. „Ich liege nicht in
deinem Bett. Du hast in meinem Bett gelegen.“
„Das ist
nicht wahr.“ Sie sah sich um und zuckte zusammen. Sie befand sich
tatsächlich in seinem Schlafzimmer. „Wo ... wie bin ich hierhergekommen? Hast
du ...“
„Du bist
aus freien Stücken gekommen.“
„Nein“,
widersprach sie. Etwas unsicherer fügte sie hinzu: „Das würde ich niemals
tun.“ Oh Gott, war sie vielleicht doch ... Er machte keine Anstalten sich
zuzudecken, er wirkte nicht im Geringsten verlegen wegen seiner nackten Brust
und Arme. Nell fühlte sich ebenfalls nackt trotz ihres Baumwollnachthemds. Sie
drückte die Bettdecke an sich.
Er lehnte
sich zurück auf einen Ellenbogen und sah sie an. „Ich gestehe, ich habe dich
geführt, aber du bist sehr bereitwillig mitgekommen.“
„Unsinn“,
verteidigte sie sich. „Ich kann mich an gar nichts erinnern.“ Sie würde
vor Verlegenheit sterben, wenn er glaubte, sie hätte ihn in der Nacht gesucht
und wäre einfach in sein Bett gestiegen.
Er warf ihr
einen prüfenden Blick zu. „Nein, aber du weißt, dass du
schlafwandelst. Das ist schon öfter passiert, nicht wahr? Deshalb warst du so
besorgt, weil kein Schloss an deiner Tür war.“
„Ja.“ Sie ließ sich
auf einen Stuhl neben dem Bett sinken und wickelte sich in die Decke. Er
verstand sie. Gott sei Dank. „Bei Mrs Beasley habe ich eine der Bediensteten
aufgefordert, mich nachts einzuschließen. Zu Hause machte Aggie das immer. Ich
hätte Cooper bitten sollen, bei mir zu schlafen, aber ich dachte ... ich hoffte
... Ich wollte nicht, dass du glaubst, ich würde dir nicht vertrauen.“
„Bist du
immer schon schlafgewandelt?“, erkundigte er sich neugierig.
Sie
schüttelte den Kopf. „Nicht mehr, seit ich noch ein kleines Mädchen war. Es
fing an, nachdem Mama gestorben war, und später hörte es dann wieder auf. Es
hat erst wieder angefangen, seit ...“
Er nickte.
„Ich weiß. Du hast nach Torie gesucht.“
Sie legte
den Kopf in ihre Hände. „Was soll ich bloß tun?“
„Nicht du – wir. Und wir werden sie finden“, sagte er entschieden und schwang
die Beine aus dem Bett. Nell starrte ihn an. Er trug eine weiße
Baumwollunterhose, aber sie verbarg nur wenig von seiner Männlichkeit. Die
hatte Nell vorhin noch gespürt, als sie in seinem Arm gelegen hatte.
Ihre
Gedanken an Torie waren plötzlich unterbrochen.
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