Anne Gracie
Gabriel gelegentlich erwähnt –
und Sie natürlich.“
„Das habe
ich mir gedacht. Hat Harry Ihnen erzählt, dass ich nichts mit ihm zu tun haben
wollte, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe?“
Nell sah
sie überrascht an.
Lady
Gosforth zog die Augenbrauen hoch. „Nun, warum auch? Das Ergebnis eines
Seitensprungs meines Bruders?“
Nell
erstarrte. Sie ballte die Hände zu Fäusten und antwortete nicht.
Lady
Gosforth redete weiter. „Das galt auch für Gabriel. Natürlich ergriff ich die
Partei meines Bruders, und seiner Ansicht nach war Gabriel ein Kuckuckskind,
ein Bastard. Darin irrte er natürlich, aber mein Bruder war ein sturer und
unbeugsamer Mann. Jemand wie Harry – ein ,Unfall` mit einer Bediensteten – war
erst recht ein Niemand für uns.“
„Ein Unfall
mit einer Bediensteten?“, wiederholte Nell zornig. „Was für eine
niederträchtige Art, über jemanden zu reden.“ Harrys Tante sah sie prüfend
an. „Das ärgert Sie, nicht wahr?“
„Allerdings.“ Nell hielt ihrem
Blick unerschrocken stand.
Lady
Gosforth lächelte. „Das ist schön, meine Liebe. Mich ärgert das inzwischen
auch, aber damals dachte ich nun einmal so.“
Ihr Lächeln
erstarb. „Lassen Sie mich Ihnen die ganze Geschichte erzählen –
ich finde, Sie sollten sie kennen.“ Sie kam an eine Stelle, wo der
Wollfaden gerissen war, daher entstand eine kurze Pause, während sie
nach einem neuen Anfang suchte. „Gabriel und Harry wurden von meiner Tante
Gertie aufgezogen, einer bemerkenswerten Frau, die stets ihre ganz eigenen
Wege ging.“
Nell
runzelte die Stirn. „Ich dachte ...“
Lady
Gosforth nickte. „Harry war ursprünglich von Mrs Barrow aufgenommen worden,
der Köchin meiner Tante. Seine Mutter lebte
nicht mehr, und er war schrecklich vernachlässigt. So wäre es
wahrscheinlich auch geblieben, wenn er seinem Vater nicht wie aus dem Gesicht
geschnitten gewesen wäre. Sobald meine Tante die
Familienähnlichkeit erkannte, beschloss sie, beide Jungen zu
Gentlemen zu erziehen – schließlich ging es nicht an, einen Stallburschen zu
haben, der das Ebenbild des Earls war. Außerdem hatte Tante
Gertie einen geradezu absurden Standesdünkel, was die Familie
Renfrew betraf. Sie sagte, sie züchtete Hunde und Pferde, ohne nach deren
Heiratsurkunden zu fragen, und bei jüngeren
Söhnen wäre das auch nicht viel anders. Und wenn ihr Vater sich nicht um die
Jungen kümmern wollte, dann würde sie das eben tun.“ Lady Gosforth
schnalzte kopfschüttelnd mit der Zunge. „Als die Jungen alt genug waren, um zur
Schule zu gehen, schickte Tante Gertie sie nach Eton, wo schon alle Renfrews
hingegangen waren – in dieselbe Schule, die auch Marcus und Nash besuchten,
ihre älteren Brüder.“ Wieder schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß nicht, was
sie sich dabei gedacht hat – wahrscheinlich glaubte sie, es täte den Jungen
gut, die Sache auszukämpfen.“
„Auszukämpfen?“
„Jawohl.
Eine Eigenart des männlichen Geschlechts ist es wohl, dass sie oft die besten Freunde
werden, nachdem sie sich vorher erst einmal gründlich verprügelt haben. Und die
Voraussetzungen für so einen Kampf
waren absolut gegeben. Marcus und Nash hatte man beigebracht, auf Gabriel und
Harry herabzuschauen und sie zu verachten, während die beiden wiederum wohl
neidisch waren auf die privilegierte Stellung ihrer älteren Brüder. Das war
prompt der Beginn einer spontanen, erbitterten Feindschaft, die in Teilen bis
heute anhält, obwohl es Nash gelungen ist, eine Art Brücke zwischen ihnen allen
zu schlagen. Der geborene Diplomat, dieser Junge.“ Sie seufzte. „Langer
Rede kurzer Sinn, es wurde ziemlich hässlich, und Gabriel und Harry wurden
beide der
Weitere Kostenlose Bücher