Anne Gracie
das mitteilen. Sofort.
villeicht
guckt sie einen Tölpel wie mich gar nicht an ...
Einen
Tölpel? Wie konnte
diese Frau es wagen – wer immer sie auch sein mochte – von oben auf Ethan
herabzusehen! Wenn sie nicht erkannte, was für ein sensibler, intelligenter
Mann er war, dann hatte sie ihn gar nicht verdient.
Und Mr
Delaney sollte sich nicht mit weniger zufriedengeben als mit dem größtmöglichen
Respekt seiner Frau. Tibby wollte ihm umgehend schreiben und ihn daran
erinnern. Ethan war manchmal einfach viel zu bescheiden.
Wahrscheinlich
würde er ihr nicht mehr schreiben, wenn er erst verheiratet war.
Ein
Regentropfen fiel auf das Papier. Tibby sah nach oben. Es regnete nicht.
Wieder
blickte sie auf den Brief.
Ihr
respektvoler Diener, Ethan Delaney.
Ihr
respektvoller Diener ... Ach, Ethan ...
Ein
weiterer Tropfen landete auf dem Papier, dann noch einer und noch einer.
Harry erwachte im Morgengrauen. Bei dem
Lärm in London konnte er fast nie gut schlafen. Der Krach dauerte bis spät in
der Nacht, und wenn man dann endlich eingeschlafen war, dauerte es nicht lange,
bis wieder Kutschen, Fuhrwerke und Karren durch die Straßen rumpelten, Arbeiter
brüllten und Händler lautstark ihre Waren anpriesen.
Noch
schlimmer war es, wenn ihn, wie jetzt, ein kaum zu unterdrückendes Verlangen
quälte.
Nell
bewegte sich leicht in seinen Armen.
Sie waren
spätnachts im Haus seiner Tante in der Mount Street angekommen, hatten eine
leichte Mahlzeit bestellt und nach einem heißen Bad verlangt. Fast unmittelbar
darauf waren sie zu Bett gegangen.
Harry hatte
es so arrangiert, dass Nell das Zimmer genau gegenüber von seinem bekam.
Nachdem sie schlafen gegangen war, hatte er seine eigene Tür angelehnt gelassen
und gewartet.
Wie
erwartet hatte er keine Stunde später gehört, wie ihre Tür aufging. Nell kam
mit glasigem Blick und ängstlich vor sich hin murmelnd aus ihrem Zimmer. Sie
hatte schon fast die Hälfte des Flurs zurückgelegt, als er sie eingeholt hatte.
Er hatte sie behutsam wieder zum Bett geführt und ihr beruhigend zugeraunt,
Torie wäre in Sicherheit. Er konnte nur hoffen, dass das auch stimmte. Dann
hatte er sich neben sie ins Bett gelegt.
Vertrauensvoll
wie ein Kind hatte sie sich an ihn geschmiegt.
Allerdings
war sie kein Kind mehr, und das wusste nicht nur er, sondern auch sein Körper.
Es war eine einzige Qual, so neben ihr zu liegen. Er sehnte sich beinahe
schmerzhaft nach dieser Frau. Wieder bewegte sie sich, und er zog vorsichtig
einen taub gewordenen Arm unter ihrem weichen, entspannten Körper hervor.
Er stützte
sich auf einen Ellenbogen und betrachtete sie. Sie war so wunderschön im matten
Licht der Morgendämmerung, so unverstellt und ohne den Schutzwall, den sie
sonst um sich errichtete. Der Ausschnitt ihres Nachthemds war verrutscht und
entblößte eine dünne, nackte Schulter. Er senkte den Kopf und küsste sie sanft.
Gott, auf
so etwas war er nicht vorbereitet gewesen, als er beschlossen hatte zu
heiraten.
Im wachen
Zustand erschien sie ihm so unabhängig und stark, aber im Schlaf ... im Schlaf
wirkte sie so verwundbar.
Sie
brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte.
Sie
brauchte ihn.
Harry war
froh, dass ihr Vater tot war. Der Mann hätte erschossen werden müssen für den
Zustand, in dem er seine Tochter zurückgelassen
hatte – allein, ohne einen einzigen Penny, ohne ein Zuhause und in tiefer
Trauer. Das Einzige, was sie noch vorantrieb, war die Hoffnung, ihre Tochter
wiederzufinden.
Was
geschah, wenn sie das Kind niemals fanden?
Dann würde
sie ihn sogar noch mehr brauchen.
Niemand
hatte ihn je gebraucht, jedenfalls nicht so. Niemand war je auf so
erschütternde Art von ihm abhängig gewesen. In der Armee hatten Männer sich auf
ihn
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