Annie und der sinnliche Italiener
murmelte Annie und senkte den Blick.
„Oliver ist ein hübsches Kind“, stellte Luc nach einer Pause fest.
„Ja, das ist er“, bestätigte seine Mutter weich.
„Hübsch und glücklich.“
„Ja.“ Das klang ausgesprochen wachsam.
„Und du bist ganz offensichtlich eine wundervolle Mutter.“
Ungeduldig griff Annie nach seinem Arm und zog ihn noch ein Stück zur Seite, um ganz sicher außer Hörweite ihres Sohnes zu sein. „Und trotzdem wirst du versuchen, ihn mir wegzunehmen, oder, Luc?“
„Nicht unbedingt, wie du weißt. Siehst du denn nicht, wie sehr Oliver davon profitieren würde, mit beiden Elternteilen zusammenzuleben?“
„Ich werde dich nicht heiraten, Luc! Und jetzt entschuldige mich …“ Annie stellte den leeren Kaffeebecher ab. „Ich möchte an der Seite meines Sohnes bleiben, bis er eingeschlafen ist.“
Luc blieb, wo er war, und fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben völlig kaltgestellt.
Zu heiraten und Erben zu zeugen, die eines Tages die Zügel des de Salvatore Firmenimperiums von ihm übernehmen sollten, hatte er stets als zwingende Notwendigkeit angesehen, die allerdings noch in nebulöser Zukunft lag.
Dass er bereits Vater eines Sohnes war, zwang ihn zum Umdenken und weckte in ihm die Idee, Anna Balfour zu heiraten. Ihre anhaltende Weigerung, seinen Antrag anzunehmen, war für ihn nicht mehr als eine Hürde, die es zu überwinden galt.
Sollte sie an ihrer Ablehnung festhalten, blieb ihm immer noch der Rechtsweg, um Oliver als seinen legitimen Sohn und Erben einzusetzen. Die Balfours mochten ein mächtiger und einflussreicher Clan sein, doch in den letzten viereinhalb Jahren hatte er dafür gesorgt, dass er ihnen absolut ebenbürtig war. Und was den altehrwürdigen Familiennamen betraf, konnte er es ohnehin jederzeit mit ihnen aufnehmen.
Der Gedanke mit der Heirat war aus der Vernunft geboren und rein pragmatisch gewesen, wie alle wichtigen Entscheidungen, die Luc traf. Sein Vorgehen basierte auf harten, kalten Fakten und nicht auf wechselhaften Emotionen.
Allerdings war er nicht auf seine eigenen Emotionen vorbereitet gewesen, die ihn bei der ersten Begegnung mit seinem Sohn wie eine heiße Woge überflutet hatten. Dieses unmittelbare, überwältigende Gefühl von Liebe hatte ihn in einem einzigen Herzschlag ergriffen und besiegt.
Es war dieselbe Liebe, die Annie für ihren Sohn empfand. Und das gleiche starke Empfinden, das Oliver seiner Mutter entgegenbrachte, die sich seit dem Tag seiner Geburt selbstlos und aufopfernd um ihn kümmerte. Hatte er wirklich das Recht, diese zwei Menschen, die einander alles bedeuteten, auseinanderzureißen? Durfte und konnte er ihnen das überhaupt antun?
Oliver, seinem Sohn. Annie, der Frau, die …
„Luc … Luc !“, wiederholte Annie eindringlicher, weil er so in Gedanken versunken war, dass er zunächst gar nicht reagierte. „Oliver schläft jetzt tief und fest. Wir sollten auch versuchen, noch ein paar Stunden Ruhe zu finden“, meinte sie, als er sie fragend anschaute.
Annie hegte keinen Zweifel, dass er gerade perfide Pläne ausheckte, um ihr Oliver wegzunehmen. Was sollte der Anflug von Schuldbewusstsein sonst bedeuten, den sie in den dunklen Augen wahrzunehmen glaubte?
Luc nickte. „Ich bin gleich zurück“, erwiderte er kurz angebunden und ging zur Tür.
„Wo willst du hin?“, rief Annie ihm leise nach und versuchte, nicht zu ängstlich zu klingen.
„Ich brauche frische Luft, bevor ich mich schlafen lege“, gab er im Rausgehen zurück.
Schon als Luc lange verschwunden war, starrte Annie die Tür immer noch an.
„Na, fein!“, murrte sie, griff nach ihrer eigenen Reisetasche und verschwand damit im angrenzenden Bad. Wie betäubt schaute sie in das bleiche Gesicht mit den angstvollen Augen, die ihr aus dem Spiegel entgegenstarrten.
Nie! schwor sie sich in diesem Moment, niemals werde ich zulassen, dass Luc mir Oliver wegnimmt!
„Ich wette, dass er genau jetzt bei einem Anwalt sitzt und mit ihm plant, wie er mir Oliver wegnehmen kann!“, schimpfte Annie aufgebracht, während sie im Frühstückszimmer ihrer Mutter auf und ablief.
Am Morgen war Oliver aus dem Krankenhaus entlassen worden. Vor wenigen Stunden erst hatte Luc ihn und Annie in seinem Wagen zum Pförtnerhaus nach Balfour Manor chauffiert. Dort angekommen trug er Oliver nach oben in sein Zimmer, wo der Junge ein Nickerchen machen sollte. Dann verabschiedete Luc sich mit der Entschuldigung, einen wichtigen Geschäftstermin in London wahrnehmen
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