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Anruf aus Nizza

Anruf aus Nizza

Titel: Anruf aus Nizza Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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Wenige Minuten später sprach er mit Tino Moreno.
    »Alles läuft wie am Schnürchen«, sagte er. »Sind sie abgereist?«
    »Ja, heute morgen um halb zehn Uhr.«
    »Ausgezeichnet. Hat sie dich gesehen?«
    Tino überlegte einen Augenblick, dann sagte er: »Ja, gestern abend. Sie waren zusammen im Spielcasino, und da hat sie mich entdeckt.«
    »Ihre Reaktion?«
    »Mir scheint, sie ist ziemlich erschrocken.«
    »Das ist gut. Wir müssen sie langsam, ganz langsam mürbe machen. Nur nichts übereilen. Je länger wir sie nervös machen, desto mehr wird sie eines Tages bereit sein, unsere Wünsche in voller Höhe zu erfüllen. Du fährst nach München, verstanden?«
    »Ja«, sagte Tino. »Was soll ich dort?«
    »Es gibt ein Mädchen, das heißt Irene Keltens. Außerdem noch einen Wolfgang Rothe. Versuche, einiges über diese beiden zu erfahren. Aber vorsichtig, man darf nicht zuviel Interesse merken. Du wohnst in der gleichen Pension wie vor zwei Jahren und wartest auf meine weiteren Anordnungen, verstanden?«
    »Verstanden.«
    »Sprich aber nicht mit ihnen, sie dürfen vorerst von dir noch nichts wissen.«
    »Verstanden. Und wann höre ich wieder von dir?«
    »Weiß ich noch nicht. Ich habe da noch eine Idee. Sie will, daß man ihren Wagen per Bahn nach München schickt. Ich könnte ihr vorschlagen, ihn selber hinzufahren. Dann bin ich unauffällig wieder am Ball.«

    *

    Frau Berckheims Zimmer glich genau dem, was man sich unter einem Boudoir vorstellt: alte, hübsche Möbel, Plüschvorhänge und Stores, dicke Teppiche, kleine Vitrinen auf zierlich geschwungenen Füßen mit viel überflüssigem Kram aus einer anderen Zeit. Und trotzdem lebte die alte Dame ganz heute, sie war sogar in manchen ihrer Gedanken revolutionär modern.
    Sie nahm zwei Kostüme aus ihrem breiten Schrank.
    »Welches soll ich anziehen? Das graue ist wärmer, ich könnte den Mantel sparen. Ich fahre nicht gern im Mantel.«
    »Das dunkelblaue«, sagte Irene. »Es macht unglaublich jugendlich.«
    Madelaine Berckheim lachte. »Natürlich, die Ronstorff ist fünfundsiebzig, und man muß brüllen, sonst versteht sie nichts. Oder soll ich doch lieber hierbleiben, wenn die beiden heute abend kommen?«
    »Aber nein, gnädige Frau. Ich bin ja da. Und der Zug kommt erst gegen Abend. Dann wird Dr. Berckheim seinen Wagen noch holen, und es wird schon dunkel sein, ehe sie kommen.«
    »Richtig, ich werde zum Tee wieder hier sein.«
    Mit raschen, jugendlichen Bewegungen schlüpfte die alte Dame in ihr Kostüm, trat vor den Spiegel, puderte sich und zog die Lippen nach. Ihre schneeweißen Locken lagen ordentlich und glatt, als käme sie soeben vom Friseur.
    Irene war sehr daran interessiert, diesen Vormittag allein im Hause zu sein, sie hatte einiges vor, wozu sie niemanden brauchen konnte.
    »Wenn die Kinder und Therese zurückkommen«, sagte sie, »werde ich das Mittagessen fertig haben. Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen, gnädige Frau.«
    Madelaine schenkte ihr ein gnädiges Lächeln.
    »Ich weiß, daß man sich auf Sie verlassen kann. Therese ist eine gute Person, aber ein Trampel. Weiß Gott, warum die Kinder immer mit ihr in die Kirche wollen, noch dazu in die katholische, obwohl sie doch protestantisch sind.«
    »Sie mögen die Musik, hat mir Dominique heute morgen gestanden, und den Weihrauch und sie finden, die evangelische Kirche sei immer so leer.«
    Wieder lachte Madelaine.
    »Wie gescheit Kinder sein können! Geben Sie mir doch mal, nein, ich setze keinen Hut auf. Würden Sie aber so nett sein und mir den Wagen aus der Garage fahren? Diese Türen sind so schrecklich eng.«
    »Gern«, sagte Irene.
    Sie lächelte, als sie die Treppe hinunterging. Die hatte sie ja schon ganz schön eingewickelt. Schlimm war nur, daß die alte Dame immer so früh aufstand und entzückt war, wenn Irene ihr beim Frühstück Gesellschaft leistete. Irene war seit Tagen nicht mehr richtig ausgeschlafen.
    Sie putzte in der Garage noch die Scheiben des Autos und fuhr den Wagen zum rückwärtigen Portal des Herrenhauses. Anschließend ging sie mit einem Korb zum Treibhaus hinüber, schnitt Tulpen und Nelken in allen Farben und wartete, ohne das Herrenhaus aus den Augen zu lassen.
    Als Madelaine mit ihren raschen, trippelnden Schritten erschien, verließ Irene ihren Beobachtungsposten und schlenderte über den Hof, so daß sie wie zufällig zur gleichen Zeit mit Frau Berckheim am Wagen ankam. Sie zeigte ihr den Korb.
    »Das ganze Treibhaus ist voller Blumen, kein

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