Antarktis 2020
hartnäckig. »Ein Tag Planverzug… Auch ein Schreckschuß. Und es ging nicht gegen die Kernsprengung. Erstens weiß jedes Kind, daß die völlig sauber sind, aber zweitens dürfte sich unsere Technologie kaum in ihren entlegenen Dörfern herumgesprochen haben. Es ging gegen den Kanal schlechthin.«
»Es sind Strolche«, sagte der, der vorhin ausgespuckt hatte. Es klang jedoch weder geringschätzig noch abwertend, eher wie eine Feststellung, daß der Himmel blau sei. Und im gleichen Ton fügte er hinzu: »Ein paar von den Amipanzern, diesen großen, hingeschickt… Als Waffe waren sie zwar unbrauchbar, wenn sie aber erst mal laufen, walzen sie alles zusammen…«
»Quatsch nicht, Alf«, sagte der andere. Der erste grinste. »Ich hab ja nur Spaß gemacht.«
»Blöder Spaß!«
»Ich bin dafür«, sagte der Japaner mit leicht erhobener Stimme, »daß wir das mit dem Dorf auf der nächsten Schichtversammlung mal ansprechen, die ist morgen! So, nun seht zu, daß ihr mit eurer Kröte verschwindet. Oder soll ich mit meinem Koloß auf die Böschung? Na also!« Die letzten Worte sprach er bereits im Gehen. Bevor er in die Luke sprang, wischte er sich mit einem Tuch den Nacken, sah mißbilligend zur Sonne und spuckte ebenfalls kräftig in den Sand.
»So long«, grüßten die beiden anderen.
Thomas steuerte das SAMO langsam von der Böschung auf die Fernsteuertrasse zu. Als die Kontrolleuchte anzeigte, daß der Impuls anlag, schaltete er den Selbstfahrer ein und lehnte sich zurück.
»Es ist gut, daß sie sich Gedanken machen«, sagte er zu René.
»Es wird nichts dabei herauskommen«, antwortete René gedankenverloren.
II
Schon als sich Thomas im Sekretariat der Campleitung nach seinem Besuch erkundigte, versetzte ihn die Antwort der Dispatcherin in leichte Zweifel. Sie sagte: »Dein Besuch ist im Gästehaus. Sie erwarten dich dort.« Sie hatte im Plural gesprochen: Wen sollte Evelyn noch mitgebracht haben?
Während sich René in die GEOMESS-Zentrale begab, um die Meßdaten für die Auswertung vorzubereiten, ging Thomas klopfenden Herzens zum Gästehaus.
Er wollte schnell dort sein und folgte deshalb einem kleinen Trampelpfad, der quer durch den Triebwald führte und nach seinem Dafürhalten in der Nähe des Gästehauses münden mußte, einem Pfad, wie er, entgegen allen Erziehungsversuchen, von denen angelegt wird, die nicht nur Spazierengehen, sondern es auch einmal eilig haben. Wie bei Mutter, dachte Thomas. Wie sie sich über solche Zeitgenossen in ihrem Wohngebiet ärgert! Aber sie hat es nicht mehr eilig…
Thomas zwang sich zur Ruhe, zwang sich, langsam zu gehen, die Kühle des Hains zu genießen.
Warum sind die Menschen so, überlegte er. Sie brauchen doch nur hierher zu gehen, die Leute von Achourat. Vor zwei Jahren war hier noch Sand, scheinbar ewiger, singender Sand. Schöpfertum des Menschen, Wasser und Wissenschaft schufen das in zwei Jahren, was sie in Jahrhunderten nicht schafften.
Man muß sie hierher einladen, damit sie begreifen, auch die heute noch verschlossenen Tuareg. Anfassen, das alles riechen…
Thomas strich über die Stämme, über die Plastkübel, die die Stämme unten umschlossen und die die Nähr- und Wuchsstofflösungen enthielten.
Es ging bergan. Sie hatten für den Bauplatz des Gästehauses die größte Düne ausgesucht, sie verfestigt und zum Hügelrand gemacht. Der Pfad führte auf eine Lichtung. Sprühfontänen standen in der Luft, glitzernd wie ein Regenbogen.
Thomas drehte sich um. Es bot sich ein panoramaartiger Ausblick auf das Camp. Noch war es unverkennbar ein Lager, das Arbeitsunterkünfte, Material, Fahrzeuge und den Aufbaustab beherbergte. Aber am Rande, dort, wo die Zweckbauten zu Ende waren, wuchsen die Wälder, wuchs die Stadt, die Hunderttausenden aus den übervölkerten Küstenstädten der Union zur Heimat werden und die Kaossen heißen wird. Kaossen – nach dem Führer der Tuaregrevolution 1917 gegen die Franzosen. Nach der Niederschlagung dieses Aufstandes durch die Übermacht der Eindringlinge war Kaossen dort verschollen, wo sich heute die Stadt entwickelte. Auch die Plantagen waren bereits in ihren Umrissen zu erkennen und die künftigen Produktionsstätten.
Und dort unten staute sich der Niger, der bezwungene Lebensspender. Hätte sich der uralte, legendenumwobene Strom nicht träumen lassen, dachte Thomas, einmal tausend Kilometer weiter nördlich zu fließen, wo die Malinesische Sahara am trockensten, am unfruchtbarsten ist, wo die Menschen an
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