Antarktis 2020
nicht gehen, um nicht diesen mehr als merkwürdigen Kapitän zu treffen. Er ärgerte sich noch ein wenig über den gleichgültigen Empfang auf dem Schiff. Wenn sie mit mir nichts zu tun haben will… Er änderte seinen Entschluß, nicht auf die Brücke zu gehen, als er, aus dem Maschinenraum kommend, die aus der Hängematte baumelnden Beine sah.
Die Jacht machte große Fahrt. Der Bug kragte weit aus dem Wasser. Was hat Ronny gesagt, überlegte Thomas, drei Stunden? Es waren immerhin mehr als dreihundert Kilometer… Thomas sah nach der Uhr. Nur noch eine knappe Stunde. Er suchte voraus den Horizont ab. Im Luftflirren glaubte er einen dunklen Komplex auszumachen, wie eine Insel. Dünne Striche zeigten zum Himmel. Thomas verließ die Brücke, weil er annahm, daß Ann, der Kapitän, wieder erscheinen mußte.
Er ging am Container vorbei, die Skatspieler nickten ihm nur freundlich zu. Er postierte sich über dem Steven. New Maori war näher gerückt, ein Koloß, der wie eine Insel aus dem Ozean ragte. Die Striche wurden zu Gittermasten und Türmen.
Das Bild veränderte sich, je näher sie kamen. Der dunkle Koloß löste sich mehr und mehr in ein auf dem Wasser liegendes Riesenzahnrad auf, durch dessen Lücken zwischen den Zähnen Licht schimmerte. Dann erkannte Thomas die Einzelheiten und verstand, warum Ronny New Maori Schrott-Town nannte. Thomas empfand abermals, daß es doch einen Unterschied gibt zwischen einem Foto oder Fernsehbild und dem natürlichen Anblick. So gewaltig hatte er sich dieses Gebilde im Ozean nicht vorgestellt.
Die »Zähne« des Riesenzahnrades waren die Buge von den beinahe achthundert Schiffen, die das Rondell der Ozeanstadt New Maori bildeten, Schiffe der verschiedensten Typen aller Armaden der Erde. Sie waren mit Ausnahme der Bug- und Heckpartien durch stabile, an den Bordwänden beweglich angebrachte Plattformen verbunden, die auch geringe Höhenunterschiede zwischen den Schiffen ausglichen. Ein riesiges Pontonrondell, verankert im Ozean.
Die Jacht näherte sich mit verminderter Geschwindigkeit einer Lücke im Bugwall. Hier fehlte ein Schiffskörper im Gleichmaß der Aneinanderreihung. Die beiden flankierenden Rümpfe waren durch Gitterkonstruktionen, die Bögen bildeten und so auch Schiffen mit hohen Aufbauten die Durchfahrt ermöglichten, miteinander verbunden. Obwohl sich Thomas ausrechnete, daß es sehr stabile Konstruktionen sein mußten, wirkten sie wie die Stützgerüste der Rosengirlanden in Schrebergärten.
Beim Näherkommen bemerkte Thomas in den Gittergerüsten hängende Korridorröhren und Bandstraßen, die die Lücke überbrückten.
Als sie die Einfahrt passierten, empfand Thomas, wie klein die Jacht im Verhältnis zu den die Einfahrt flankierenden Schiffsrümpfen war.
Während draußen ein beachtlicher Wellengang herrschte, kräuselte sich das Wasser unmittelbar hinter den Schiffen wie auf einem großen Waldsee.
Die Schiffskörper auf der gegenüberliegenden Seite waren einzeln nicht mehr auszumachen. Sie lagen etwa zwölf Kilometer entfernt, wie Thomas wußte.
Über die Masten und Türme, die er schon von weitem ausgemacht hatte, war er sich zunächst nicht im klaren. Sie standen in regelmäßigen Abständen noch außerhalb des Kreises, waren stark verankert und etwa hundert Meter hoch. Sie trugen ein Netz, das, von Monigs Standort gesehen, dem einer Spinne glich. Ab und an traf das Auge ein Reflex der silbrigen, zitternden Seile.
Thomas begann zu ahnen, wozu diese Verspannung diente, als er eine Art Bohrinsel mit Turm, Unterkünften für die Mannschaft und Magazinen für die Geräte entdeckte, die an diesem Netz hing und einige Meter über der Wasseroberfläche schwebte. Und jetzt erinnerte er sich eines Berichtes, in dem stand, daß auf diese Art und Weise künftig Städte entstehen sollten.
Thomas war mit seinem neuen Praktikumsort zufrieden: viele neue, imposante Eindrücke, Sonne und Wasser, junge sympathische Leute – und er schloß, daß die Arbeit sicher nicht die Präzision erfordern würde wie zum Beispiel das Orten der Bohrungen in TITANGORA. Ich werde dafür sorgen, nahm er sich vor, daß der Aufenthalt hier für mich angenehmer wird als im Eis.
»Achtung«, abermals fuhr Thomas die Stimme durch die Glieder, »wir legen an!«
Kapitän Ann stand wieder in ihrem modernen Gewand auf der Brücke.
Die Jacht wurde mit einem leichten Ruck im Magnetfeld gebremst. An dieser Stelle waren die Schiffsleiber nicht zu sehen. Sie waren durch zweckvolle Hafenbauten
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