Antarktis 2020
Um ärgerlicher zu werden, fühlte er sich allerdings zu unlustig. »Und es soll um sechzehn Uhr losgehen?«
»Und?« fragte sie zurück. »Ist doch noch Zeit!«
Thomas vergewisserte sich, daß es noch etwa zwanzig Minuten waren. Die gesamte Atmosphäre des Hafens und erst recht die auf der Jacht entsprach in keiner Weise seinen Vorstellungen von einem Schiff, das kurz danach in See stechen sollte.
Er hatte noch etliche Fragen, zum Beispiel eine nach seinem persönlichen Gepäck, das er am Vormittag vom Hotel aus zum Schiff geschickt hatte; was passiert wäre, wenn er sich nicht pünktlich eingefunden hätte, und er hätte zu gern etwas über New Maori erfahren. Aber angesichts der schier unerschütterlichen Lethargie seiner Gesprächspartnerin verzichtete er auf jede weitere Konversation und fragte nur noch: »Wo darf ich mich aufhalten?«
Jetzt tauchte eine Hand aus der Hängematte auf und beschrieb unnachahmlich lässig einen unbestimmten Kreis. Thomas entnahm daraus, daß er sich frei bewegen könne.
»Du kannst auch reingehen«, setzte die Stimme der Geste hinzu.
Weder dazu noch zur Fortsetzung des Gesprächs hatte Thomas Lust. Er schlenderte zum Vorschiff. Dort sah er den Container stehen, den der Hubschrauber abgesetzt hatte. Die Oberfläche des Behälters reflektierte das Sonnenlicht, daß es Thomas in die Augen stach. Trotzdem meinte er, im Container eine Bewegung gesehen zu haben. Na also, ist doch noch jemand auf dem Kahn, dachte er.
Thomas mußte noch um einige Aufbauten herum, dann stand er vor dem Behälter. Bisher hatte er gedacht, und darauf war er stolz, daß ihn so leicht nichts aus der Ruhe bringen konnte. Was er hier sah, verursachte ihm jedoch eine Gänsehaut.
Der Container war aus Glas, sicher aus organischem, durchaus nichts Besonderes. Auch daß er mit einer Flüssigkeit, den Umständen nach offenbar mit Wasser, gefüllt war, mochte hingehen. Aber in dieser Flüssigkeit saßen auf bequemen Sitzen drei Männer und eine Frau und spielten Karten. Das war grotesk, und es mutete zudem wie ein Zeitlupenfilm an, weil der Flüssigkeitswiderstand den Bewegungsablauf verlangsamte. Ihre Gesichter und Hände hatten einen bläulichen Schimmer. Sie schienen sich jedoch sehr wohl zu fühlen.
Thomas dachte an seine studentischen Skatrunden und bemerkte in der Gestik und Mimik der Spieler dazu keinen Unterschied.
Sie trugen eigenartige Anzüge, eine Folie, in die Ringe eingearbeitet zu sein schienen. Aber das alles wäre noch kein Grund gewesen zu erschrecken – allenfalls hätte Thomas solches Spielerteam unter Wasser als Kuriosum empfunden. Nur, was alles andere als kurios war: Die Menschen trugen keine Atemgeräte. Trotzdem war deutlich zu sehen, daß sie atmeten, sprachen. Sie atmeten Wasser!
Jetzt hatte einer von ihnen Thomas durch die Behälterwand entdeckt. Er machte die anderen aufmerksam, und sie sahen zu ihm heraus. Sie winkten ihm freundlich grüßend zu und lachten dann, weil Thomas immer noch ziemlich betroffen in den Container starrte.
Plötzlich sagte einer der Männer: »Bist wohl neu in dem Laden, Kollege?« Er sprach deutsch, und es klang unwirklich, künstlich. Thomas sah jetzt das Gerät am Kehlkopf des anderen. Muß eine Art Umsetzer sein, dachte er. Die anderen grinsten.
Thomas gab sich den Anschein, die Situation zu beherrschen. »Warum?« fragte er. »Ich war nur verwundert, daß du bei der Karte das Karo-As nicht gezogen hast!«
Einen winzigen Augenblick lang waren die vier verdutzt, dann lachten sie.
Thomas war sich klar darüber, daß er hier verwirklicht sah, worauf mehr oder weniger wissenschaftliche Notizen der Publikationsorgane ab und an hingewiesen hatten: Anpassung von Menschen an das Leben im Wasser. Es war aber eben doch ein Unterschied, so etwas, nur mäßig beteiligt, zu erfahren oder sich damit unmittelbar, sozusagen Auge in Auge, konfrontiert zu sehen.
»Der Junge scheint richtig zu sein«, sagte der, der Thomas angesprochen hatte, zu den anderen.
»… und ihr die einzig Vernünftigen auf diesem Kahn«, setzte Thomas fort. »Fährt der überhaupt nach New Maori?«
»Ja, er fährt nach Schrott-Town. Ich heiße übrigens Ronny Bechmann und stamme aus Meuselwitz. Das ist Alina Kovanicova aus Kosice…«
Ronny Bechmann zeigte schnell mit dem Finger auf die Genannten, so daß Thomas Mühe hatte, Namen und Personen aufzunehmen. »… der junge Mann hört auf den wohlklingenden Namen Ronald Borissowitsch Sokolow und stammt aus der Gegend von Wladiwostok –
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