Antarktis 2020
aus, daß die Sedimente des Meeresbodens und die Basaltdecke zusammen etwa 4200 Meter mächtig sind. Das heißt, daß wir in 9200 Meter Teufe das Magma erreichen müßten…«
Ja, das war Thomas bekannt. Also dafür die Bohrinsel! »Wo nimmt New Maori eigentlich jetzt die Energie her?« fragte er. »Auf etwa sechzig Schiffen laufen die Maschinen und treiben statt der Schrauben Drehstromgeneratoren. Außerdem arbeitet bereits ein Kraftwerk, das den Temperaturunterschied zwischen Tiefen- und Oberflächenwasser für die Stromerzeugung nutzt, allerdings nur mit einer Leistung von fünfzehn Megawatt. Sektor drei ist ein ausgesprochener Energiefresser – ach so«, unterbrach sich Dr. Andrej, »die Wasserenterzung ist das. Wenn das Moholeverfahren nur annähernd die projektierten Parameter bringt, können wir trotz des sehr hohen Energieverbrauches von hier aus die gesamte Inselwelt billig mit Strom versorgen.«
»Wie sind die Chancen für Mohole?« fragte Thomas. »Alles spricht dafür. Wir stehen mit der Bohrung bei ungefähr neuntausend Meter noch im Basalt, haben aber bereits eine Temperatur von etwa vierhundert Grad Celsius. Noch tausend Meter, und wir wissen mehr – freilich sind die letzten Meter die schlimmsten. Aber das wirst du alles noch im Sektor fünf bei den Energetikern erfahren.«
Dr. Andrej erläuterte die Aufgaben seines Sektors. Thomas war die Rolle eines Mitläufers zugedacht, der nur zuzusehen, aber nicht mitzumachen hatte. Einerseits freute er sich darüber, weil damit wenig eigene Verantwortung verbunden war, andererseits aber ärgerte er sich auch, weil er sich unter seinen Fähigkeiten eingesetzt glaubte.
»So wirst du am besten deine Analyse über unsere Arbeit machen können«, schloß Dr. Andrej.
Hier war Thomas anderer Meinung. Etwas kennenzulernen erfordert den ganzen Kerl, nicht nur Augen und Ohren. Außerdem, so glaubte er, lag in der Bemerkung Dr. Andrejs so etwas wie Spott.
Am nächsten Tag durfte Thomas an der, wie Dr. Andrej scherzhaft bemerkte, »körperlichen« Leiterzusammenkunft teilnehmen. Sonst blieben Beratungen meist auf das planmäßige Video-Rundgespräch beschränkt.
»Jetzt wirst du das Leitungskollektiv kennenlernen«, sagte die Stelzer hintergründig. »Paß gut auf!«
Was Thomas kennenlernte, war neben Dr. Andrej eine Gruppe von sympathischen jungen Leuten, die Sektorenleiter von New Maori. Nur der holländische Oberst Rijsdijk, der Oberkommandierende der ehemaligen militärischen Einheiten, blickte, als exerziere ständig eine Kompanie von Läusen auf seiner Leber. Aber schließlich, dachte Thomas, braucht eine finstere Miene keinen ebensolchen Charakter zu bedingen.
Thomas wurde von Kollegin Stelzer überschwenglich vorgestellt. Sie übertrieb dort, wo sie von Ergebnissen sprach, die aus seiner Aufgabe resultieren sollten.
Sie war besessen! Plötzlich kam Thomas diese Erkenntnis. Sie war besessen von ihrem dienstlichen Auftrag, eine Betriebsfanatikerin, die sich mit beispielhaftem Eifer und selbstlosem Einsatz in die Arbeit stürzte, den einmal eingeschlagenen Weg wie mit Scheuklappen verfolgte, des Ziels wegen Umwelt und Mitmenschen übersah und so nicht selten mehr Schädliches als Nützliches verursachte.
Bei Kollegin Stelzer schien das Ziel ein vollendetes und vollkommenes New Maori nach des Direktors und damit ihrem Bild zu sein.
Thomas beschloß für sich, zu versuchen, mit ihr auszukommen, ohne zu sehr in ihr Fahrwasser zu geraten. Schließlich war sie seine Betreuerin.
Thomas stellte erfreut fest, daß die weiblichen Sektorenleiter sehr ansehnlich und etwa in seinem Alter oder wenig älter als er waren: Kollegin Sokolow, eine schwarzhaarige Bulgarin, die dem Sektor drei, der Wasserenterzung, vorstand; oder die schmale Japanerin Dr. Mitatsu, Sektor vier, Gesundheitswesen, mit kosmetisch dezent betonten Mandelaugen; die Leiterin von Sektor sechs, ef, ef, ef, wie die Kollegin Stelzer so lustig scherzte, daß niemand auch nur lächelte – es sollte Flor-Faun-Farm bedeuten –, eine rötlichblonde, kleine und, wie es schien, quicklebendige Französin namens Vermisseau.
Er stellte sich Evelyn an Stelle einer dieser Frauen vor und fand, daß ihr ein solcher Platz nicht schlecht stünde. Und wäre es nicht etwas Erstrebenswertes – er und Evelyn bei einer gemeinsamen Aufgabe?
Er dachte an Nina. Nein, Tom, sagte er sich, wenn nichts zu bereuen ist, gibt es auch keine Wiederholung! Und außerdem, Thomas lächelte bei dem Gedanken, sei nicht so vermessen
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