Antarktis 2020
zwei Männer – Thomas schätzte, fünf Jahre älter als er –, die die ganze Zeit über still gewesen waren und deren Namen er sich auch nicht gemerkt hatte. Ich werde sie noch kennenlernen, dachte er.
Dann fragte Frau Vermisseau heftig: »Wäre es nicht angebrachter, Kollege Neuber, wenn wir gemeinsam…?«
»Du hast mit den weitesten Weg«, unterbrach sie Neuber schroff. »Ich bitte um Respektierung meiner Weisung.«
Die Französin zuckte nun ebenfalls die Schultern, stand unwillig auf, murmelte: »Das ist mir unverständlich«, und verließ den Raum.
»Habe ich auch einen so weiten Weg?« fragte Dr. Andrej.
»Wieso?« fragte Neuber aggressiv zurück. In seinem Blick lag jetzt etwas Unstetes. Thomas stellte verwundert fest, daß es Angst sein konnte.
»Nun…«, Dr. Andrej wurde unsicher, »schließlich betrifft es meinen Sektor, wie es bis jetzt aussieht, mit am meisten.«
»Das ist mir bekannt«, sagte Neuber kalt. »Ebendeshalb.«
»Bitte!« entgegnete Dr. Andrej kurz, drehte sich schroff um und ging. Thomas schloß sich zögernd an. Er hörte noch, wie Neuber anwies: »Carla, du bleibst. Kollegin Steel, sorge dafür, daß wir nicht gestört werden.«
Vor Neubers Zimmern trafen sie auf die Kolleginnen Vermisseau und Sokolow. Als sie Andrej erblickten, wandten sie sich an ihn: »Begreifst du das?« ereiferte sich die Französin, und noch ehe Dr. Andrej etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: »Unbegreiflich ist das. Wieder diese Selbstherrlichkeit. Schließlich betrifft diese Geschichte uns alle. Bei mir beginnt morgen in drei Gärten die Ernte. Wie soll ich das ohne die U-Boote machen?«
»Ich habe es ja gewußt«, sagte die Bulgarin. Sie sprach ein gewähltes Russisch mit tiefer Stimme. »So etwas lassen sich die ehemaligen Militärs nicht lange gefallen. Nun haben wir die Bescherung.«
In diesem Augenblick wurde die Tür zu Neubers Räumen energisch aufgestoßen. Oberst Rijsdijk kam schnellen Schritts mit hochrotem Kopf heraus, verhielt, als er die vier auf dem Korridor sah, murmelte etwas, das wie »Idiot« klang, und wollte sich offenbar eilig entfernen.
»Oberst Rijsdijk, bitte, Sie kennen Ihre Leute, wie lange kann das dauern?« sprach ihn Frau Vermisseau an und vertrat ihm den Weg.
Der Oberst war sehr erregt. Er stieß einigemal die Luft hörbar aus, als brauche er einen Augenblick, um sich zu sammeln, dann antwortete er: »Ja, wissen Sie, etwas Genaues ist mir auch nicht bekannt. Die U-Schiffe, freilich, da ist dieser Paterthik, ein tüchtiger Mann sonst, aber manchmal ein wenig schwierig…« Oberst Rijsdijk wischte sich mit einem Taschentuch die feuchte Stirn.
Er sieht müde aus, stellte Thomas fest. Auch ist er nicht mehr der Jüngste, hat die Sechzig bestimmt überschritten. Dem Oberst hingen schwere Tränensäcke unter den Augen, die Wangen durchzogen rote Äderchen. Das Auffallendste an ihm waren seine dichten schlohweißen Haare. Im Augenblick fühlte er sich der kleinen Französin gegenüber offenbar nicht so recht wohl, denn sie ließ nicht locker. »Bitte«, sagte sie, »können Sie nicht auf die Mannschaften einwirken, daß sie so schnell wie möglich wieder arbeiten?
Die Mollusken beginnen abzusterben. Sie wissen, wie schnell sie dann zerfallen. In wenigen Tagen ist eine Generation verdorben, das sind beinahe dreihundert Kilopond Gold, von den noch wertvolleren Spurenelementen ganz zu schweigen!«
»Sie haben gehört, daß ich kritisiert wurde«, fiel die Bulgarin ein. »Den Materialtransport besorgen aber Ihre U-Boote. Alle Welt schaut auf die Wasserenterzung, und meine Kaskaden werden nie fertig!«
»Sagen Sie das doch denen da drin!« Der Oberst war wütend, hatte sich aber nach wenigen Sekunden wieder in der Gewalt. »Der Direktor hält es für nicht erforderlich, daß ich separat etwas unternehme. Es sei schlimm genug, daß es so weit gekommen ist. Die Hauptverantwortung habe er, und er wolle sie auch wahrnehmen.« Der Oberst war leise geworden. »Wahrscheinlich hat er recht«, setzte er hinzu. »Entschuldigen Sie mich…«
»Aber…«, setzte Frau Vermisseau abermals an. Da legte ihr die Bulgarin eine Hand beruhigend auf den Arm und sagte: »Warten wir ab.«
Der Oberst murmelte noch etwas und entfernte sich eilig.
Die Sektorenleiter schlugen nun ebenfalls den Weg zur Ringbahnstation ein. Nachdenklich ging Thomas neben Dr. Andrej. Er war sich bewußt, daß er Zeuge eines außerordentlichen Ereignisses wurde. Eine Arbeitsniederlegung im fortgeschrittenen
Weitere Kostenlose Bücher