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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nur Muskeln und Sehnen, sondern noch mehr, ein auf unheimliche Weise falsches Kriechen und Sich-Zusammenziehen und Dehnen und Strecken, sodass Mogens sich mit aller Kraft beherrschen musste, um sich nicht angeekelt loszureißen.
    Wenigstens schien Graves mit dem Ergebnis seiner Untersuchung zufrieden zu sein, denn er ließ endlich Mogens’ Hände los und sagte, wenn auch nicht in gänzlich überzeugtem Ton: »Allem Anschein nach hast du Glück gehabt. Aber man kann nie wissen. Beobachte deine Haut in den nächsten Tagen.«
    »Seit ich das Zeug los bin, mit dem du mich verarztet hast, geht es mir schon wieder viel besser«, sagte Mogens. »Was hattest du vor? Mich ein bisschen zu foltern?«
    »Die Salbe ist ein wenig unangenehm, zugegeben«, antwortete Graves, »aber sie wirkt.«
    »Wogegen?«, fragte Mogens.
    »Du hast die Biester angefasst«, erinnerte Graves.
    »Und? Willst du mir vielleicht erzählen, sie wären giftig?«
    »Nicht im klassischen Sinne, vermutlich«, sagte Graves. »Aber man kann nie wissen. Diese Kreaturen sind Aasfresser, Mogens, vergiss das nicht. Wer weiß schon, was für Krankheitserreger und Keime sich auf ihrer Haut tummeln.«
    »Oder ihren Zähnen?«
    »Tom hat auch deine anderen Wunden versorgt«, antwortete Graves ungerührt. »Aber keine Sorge, er hat eine andere Salbe genommen.«
    »Wie beruhigend«, sagte Mogens spröde. »Und warum verschwendest du deine wertvolle Zeit damit, dich mit mir über Krankheitskeime und Salben zu unterhalten? Die Hälfte deiner fünf Minuten ist bereits um.«
    »Woher willst du das wissen, wenn du doch keine Uhr hast.« Graves blies eine weitere übel riechende Qualmwolke in seine Richtung. »Die fünf Minuten sind um, wenn ich es sage.«
    Mogens sparte es sich, zu widersprechen. Es wäre sinnlos. Der Streit, der ganz zweifellos daraus entstehen musste, würde die Wartezeit nur verlängern. Wenn er sich damit einen stundenlangen Fußmarsch in die Stadt ersparte, den er vielleicht nicht einmal bewältigen konnte, was machten da ein paar Minuten?
    »Verzeih«, sagte Graves. Möglicherweise war ihm ja selbst aufgefallen, dass er sich im Ton vergriffen hatte. »Es … es fällt mir nicht leicht, die richtigen Worte zu finden. Ich war es bisher nie gewohnt, bitten zu müssen.«
    »Ich weiß«, sagte Mogens. »Und ich glaube, ich weiß auch, was du sagen willst. Aber mein Entschluss steht fest.« Er schüttelte bekräftigend den Kopf, um seinen nachfolgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Ich werde gehen.«
    »Um was zu tun?«, erkundigte sich Graves. »Sheriff Wilson zu erzählen, was mit der armen Miss Hyams und mit Miss Preussler passiert ist?« Er schüttelte ebenfalls den Kopf und sah Mogens gleichermaßen lauernd wie auch irgendwie herausfordernd an. »Bitte bedenke, mein Freund: Dein Wort stünde gegen das meine und das von Tom. Sheriff Wilson kennt mich seit einer geraumen Weile. Ich will nicht behaupten, dass er mir gegenüber freundschaftliche Gefühle hegt oder mich auch nur schätzt. Aber du bist vollkommen fremd für ihn. Wem würde er wohl glauben?«
    »Ich halte Sheriff Wilson für einen sehr klugen Mann«, sagte Mogens ungerührt. Er war enttäuscht, nicht einmal sosehr von Graves – er hatte erwartet, dass dieser sich am Ende aufs Drohen verlegen würde –, sondern eigentlich mehr von sich selbst, in seiner bodenlosen Naivität tatsächlich geglaubt zu haben, Graves würde doch noch so etwas wie menschliche Züge entwickeln. »Er wird die Wahrheit herausfinden, daran zweifle ich nicht.«
    »Mogens – bitte!«, sagte Graves. »Willst du denn wirklich alles wegwerfen?«
    »Dort unten ist nichts, was diesen Preis wert wäre«, antwortete Mogens.
    »Und diese Worte aus dem Munde eines Mannes wie dir?«, murmelte Graves kopfschüttelnd. »Du bist ein Mann der Wissenschaft, Mogens, genau wie ich! Hast du denn wirklich all unsere Träume vergessen? All die Geschichten, denen wir damals an der Universität gelauscht haben, all das, was wir selbst jemals erreichen wollten?«
    »Nein«, antwortete Mogens. »Aber ich habe noch viel weniger vergessen, was du selbst mir erzählt hast, Jonathan. Oder was Tom mir erzählt hat. Und ich habe schon gar nicht vergessen, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Was muss denn noch passieren, bis du begreifst, dass wir hier etwas geweckt haben, dem wir nicht gewachsen sind?«
    Graves sog erneut an seiner Zigarette, und Mogens konnte regelrecht sehen, wie sich die Gedanken hinter seiner Stirn überschlugen.

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