Anubis - Wächter im Totenreich
Holzboote interessierten den Chinesen nicht. Sein Blick galt den großen Schlauchbooten, die aus einem sehr dichten Material bestanden, einen Außenborder besaßen sowie eine wasserdicht verpackte Notration, außerdem Signalraketen.
Die Boote waren zwar fest vertäut, sie ließen sich jedoch leicht lösen. Im Ernstfall mußte eben immer alles schnell gehen. Auch Suko schaffte es in einer Rekordzeit, schwenkte das Boot herum und ließ es zu Wasser. Er kappte mit seinem Messer kurzerhand die Leinen, das ging immer am besten.
Das Boot verschwand.
Geübt kletterte der Chinese auf die Reling, schaute nicht mehr zurück und sah deshalb nicht die Gestalt, die ihn schon seit einiger Zeit verfolgte.
Das Boot war abgetrieben worden. Suko sah es als eine schwarze Fläche auf dem ebenfalls dunklen Wasser treiben.
Dann sprang er.
Kräftig hatte er sich abgestoßen, klatschte kopfüber in das Wasser, tauchte unter und bekam nicht mit, daß sich noch eine zweite Gestalt, ähnlich wie er es getan hatte, von der Reling abstieß. Zum erstenmal in seinem Leben nahm Suko ein unfreiwilliges Bad im Nil. Das Wasser war trotz der Tageshitze ziemlich kalt, die Strömung stark und der Chinese mußte sich anstrengen, um das abgetriebene Schlauchboot zu erreichen.
Zudem geriet er in den Wellensog des Schiffes. Er wurde unter Wasser gepreßt, hatte große Angst vor der Heckschraube und tauchte weg. Er mußte wieder hoch, schaffte es auch und geriet in die Ausläufer der schaumigen Wellenstreifen.
Wäre Suko nicht so ein geübter und kraftvoller Schwimmer gewesen, hätte ihn der Nil behalten. So aber kam er weg und erreichte schließlich auch das Schlauchboot.
Hart umklammerte er den dicken Wulst, hielt sich an den Tauen fest, die um den Wulst herumliefen, und quälte sich hoch, um sich letztlich ziemlich erschöpft in das Boot zu rollen, wo er auf dem Bauch liegenblieb und Nilwasser spie.
Sosehr ihm die Zeit auch im Nacken saß, Suko mußte sich einfach ausruhen und Luft holen. Er hustete ein paarmal stark, atmete tief durch und bekam wieder Luft. Endlich konnte er frei atmen. Wie man mit einem Außenborder umzugehen hatte, wußte der Inspektor ebenfalls. Er fand die Zugleine, riß ein paarmal daran, vernahm das Leerlauf-Knattern und drückte sich die Daumen, daß der Motor ansprang. Beim dritten Versuch klappte es.
Suko blieb im Heck sitzen und spielte mit dem Gas, um Fahrt zu bekommen. Dabei hoffte er stark, das Passagierschiff überholen zu können.
Es blieb bei seinem Vorhaben, denn plötzlich erschienen dicht neben der Backbordseite zwei kalkig wirkende Hände, die herumgeschlagen wurden und die Taue auf dem Wulst umklammerten.
Sukos unheimlicher Gast war da!
***
Es war wirklich eine phantastische, unglaubliche Reise. Erinnerungen an die Geschichte von Sindbad, dem Seefahrer, wurden in mir wach, denn auch er hatte ja diese märchenhaften Reisen unternommen. Nur erlebte ich sie in Wirklichkeit.
Eine Mischung aus Realität und Traum, so kam mir alles vor. Wir schwebten dahin, obwohl ich festen Boden unter den Füßen spürte. Nur meine Gedanken wollten sich nicht so recht von mir beeinflussen lassen und ein Feindbild formen.
Ich konnte das Gefühl schlecht erklären, das mich überkommen hatte. Das Umfeld war ein völlig anderes geworden, und es sorgte durch seine Ausstrahlung dafür, daß ich mich mit ihm arrangierte. Keine Haßgefühle mehr, keine Gedanken an Rache, eher eine Lethargie. Das hatte diese Magie geschafft.
Es gelang mir wunderbar, meinen Zustand und mich selbst zu analysieren, dennoch war ich nicht in der Lage, irgendwelche Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Ich wurde geführt.
Ein anderer hatte die Herrschaft über mich an sich gerissen. Er leitete mich, und seinem Bann entkam ich vorläufig nicht. Andererseits wollte ich es auch nicht, denn auf eine gewisse Art und Weise war ich gespannt.
Wir hatten das Passagierschiff hinter uns gelassen. Eigentlich hätten wir jetzt fallen müssen, das geschah nicht. Wir glitten in einem Schwebezustand weiter und sanken nur allmählich der Wasseroberfläche entgegen, obwohl das auch nicht nötig gewesen wäre, denn irgendwie erinnerte mich diese Reise an den Fliegenden Holländer.
Kontakt mit dem Wasser.
Ich hörte die Wellen, ihr seltsames Rauschen, ihren Gesang, und ich hatte trotzdem das Gefühl, von ihnen meilenweit entfernt zu sein. Über uns aber lauerte wie ein allzeit bereiter gefährlicher Wächter der grünlich schimmernde Schakalkopf des Totengottes Anubis.
Er
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