Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
ihr eher harmlos vor. Ziemlich heftig und emotional und empfindlich, aber nicht aggressiv. Aber da war noch eine andere Seite seiner Persönlichkeit, die sie erst ansatzweise verstand. Immer wieder versank er ganz in sich selbst, sein Gemütszustand veränderte sich plötzlich. Seine Ausführungen wurden sehr weitschweifig, und sie konnte den hastig und aufgeregt vorgetragenen Monologen kaum folgen. Gleichzeitig hatte er diesen geplagten Gesichtsausdruck, hinter dem sich ein tief empfundener Schrecken verbarg, und das machte ihr hier in dieser Umgebung mehr Angst als im Restaurant. Weil sie es jetzt viel deutlicher an ihm bemerkte. Als würde er sie immer näher an etwas heranführen, vor dem sie aus gutem Grund Angst hatte.
Aber wenn sie darüber nachdachte, was für ein Leben er hier fristete, über diesem abgetakelten Pub, in einem Haus, wo die Tapete sich von den Wänden schälte, die Teppiche schlecht rochen und die Korridore miserabel erleuchtet waren, wo man aus schmutzigen Fenstern auf dreckige Hinterhöfe und demolierte Garagen blickte, dann fühlte sie so etwas wie Mitleid mit Seth und seinem desolaten Dasein. Nachts arbeitete er im Barrington House in dem gleißenden Licht der Eingangshalle, tagsüber schlief er in einem dieser Zimmer, um am Abend in seiner deprimierenden Umgebung am Rand der Gesellschaft aufzuwachen und verzweifelt zu versuchen, seine abstrakte und quälende Vision zu verwirklichen – das war ein Leben, das jeden Menschen in den Wahnsinn treiben musste. Aber dann rief sie sich zur Ordnung: Sie war nicht hier, um Mitleid mit diesem Künstler zu empfinden, sondern sie wollte herausfinden, inwieweit er mit den schrecklichen Vorfällen im Barrington House in Verbindung stand, mit dieser mörderischen Macht, die dieses Gebäude in Besitz genommen hatte.
Sie folgte ihm durch das Treppenhaus, in dem es nach männlichem Schweiß, gebratenem Essen und auf Heizkörpern getrockneten Klamotten stank. Gerüche, die sie abstießen. Rechts und links führten verwinkelte Korridore irgendwo ins Dunkel oder zu schäbigen Wohnungseingängen.
In seinem Stockwerk angekommen, ging er durch einen mit alten Schränken, Tischen und kaputten Stühlen vollgestellten Flur voran. Durch einen schmalen Durchgang gelangten sie endlich zu seiner Wohnungstür. Sie war erschöpft, und als Seth die Tür aufschloss, blickte sie irritiert an sich herunter, um nachzusehen, ob sie sich ihre Stumpfhose in der Dunkelheit womöglich an einem Holzsplitter aufgerissen hatte. Tatsächlich bemerkte sie drei Laufmaschen in dem teuren feinen Stoff, die sich bis zu den Stiefeln zogen.
»Es ist furchtbar unordentlich da drin. Sie müssen das einfach hinnehmen, es ist ein Arbeitsplatz. Normalerweise lebe ich nicht so.«
»Klar. Lassen Sie mich ruhig rein. Hier draußen gefällt es mir nicht besonders«, sagte sie leicht verstimmt, während sie über die Schulter hinter sich in den Korridor spähte, durch den sie sich gerade gezwängt hatte. Das ganze Haus sollte am besten abgerissen werden. Wie konnte man denn in so einer Bruchbude wohnen?
Normalerweise lebe ich nicht so.
Wer konnte das schon. Ohne den Verstand zu verlieren.
Er hatte die ganzen verdammten Wände vollgemalt.
Drei Viertel des Zimmers wurden von einem Wandgemälde bedeckt, das die meisten Psychiater zweifellos als Werk eines Wahnsinnigen eingestuft hätten.
Der Anblick dieser Gestalten, die dort in einer unendlich erscheinenden Dunkelheit hingen, ließ ihr den Atem stocken und machte sie völlig benommen. Es waren Malereien, die in ihrer Einfachheit geradezu kindlich wirkten. Primitiv, derb und roh. Jenseits aller Konventionen der üblichen Porträtmalerei lösten diese Bilder beim Betrachter einen Schock aus, weil sie völlig verzerrt waren und eine grauenhafte Panik illustrierten.
Sie musste sich setzen. Dafür kam nur das Bett infrage, von dem aus sie nun die Wände anstarrte. Diese verdrehten, grinsenden, kreischenden Schemen, die vor einer vollkommen lichtlosen Ewigkeit herumgaukelten.
»Das sind nur Ideen. Studien von bestimmten Gestalten. Die vorausgehenden Entwürfe liegen hinter Ihnen. Die meisten davon habe ich nachts gemacht. Ich habe noch mehr davon in dem Schrank dort und in den Mappen. Ich versuche im Augenblick, die Farben für die Bilder an der Wand zu finden. Und eine Möglichkeit, dem Hintergrund eine besondere Gestaltung zu geben, damit er einen … richtig packt.«
Das war sowieso schon der Fall. Falls Hessen jemals gemalt haben sollte,
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