Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
Aufenthaltsraum taumelte, musste er sich am Treppengeländer festhalten. Er trank einen Becher Wasser aus dem Spender.
Aber an Ruhe war nicht zu denken. Kaum war er zum Rezeptionspult zurückgekehrt und hatte sich in den Ledersessel fallen lassen, gingen die nächtlichen Störungen erst richtig los.
Um zwei Uhr morgens kam der Lift aus dem Westflügel zum zweiten Mal in dieser Nacht im Erdgeschoss an. Aber dieses Mal war er nicht leer.
Benommen und blinzelnd stand Seth auf und stützte sich mit dem Ellbogen auf dem Pult ab. Migränewellen durchzuckten seinen Schädel, während er das, was da aus dem Lift herauskroch, zu fixieren versuchte. Es schien eine ganze Menge Beine zu besitzen, die er kaum zählen konnte. Erst als sie ganz dicht vor seinem Pult angekommen war, erkannte er das aufgedunsene Gesicht von Mrs. Shafer.
Sie trug einen sehr weiten Hausmantel aus Seide und bewegte sich trotz ihrer immensen Körperfülle erstaunlich flink über den Teppich. Wegen ihrer kaum wahrnehmbaren schmalen Schultern wirkte ihr unförmiger Kopf, als würde er direkt auf dem Rücken sitzen. Ihr nasses Haar wurde nur notdürftig von einer ganzen Reihe schimmernder Bänder zusammengehalten. Zahlreiche Strähnen klebten ihr an Stirn und Schläfen oder fielen unordentlich herab, weil einige Haarnadeln sich gelöst hatten. »Wie oft müssen wir uns denn noch beschweren, bis diese Angelegenheit endlich korrekt erledigt wird?«, rief sie mit schriller Stimme aus. »Sie sind schon mehrere Male aufs Dach gestiegen, aber trotzdem kriegen wir kein klares Bild. Sind diese Handwerker denn völlige Dilettanten?«
Sie hatte sich schon öfters beschwert. Hinter ihr war die Spur einer Flüssigkeit zu sehen, die aus ihrem Unterleib auf den Boden tropfte. Es roch wie Fleisch, das in einer Plastikverpackung vergammelt war.
»Mein Mann hat eine bedeutende Position«, sagte sie, während Seth sich die Hand vors Gesicht hielt, um den Gestank auszuhalten. »Er muss die Wirtschaftsnachrichten sehen. Er kann doch nicht die ganze Nacht untätig auf seinem Hintern sitzen.« Sie trat mit einem kurzen Vorderbein in die Luft, um ihre Aussage zu bekräftigen. Am Ende des Beins befand sich eine kleine menschliche Hand. »Ich möchte mit Stephen sprechen, sofort!« Seth zuckte vom Tresenrand zurück.
Sie ruckte ihren unförmigen Kopf hin und her, ihr öliger Hals schimmerte im Licht. Dann kreischte sie: »Und wer sind Sie überhaupt?« Damit meinte sie den Jungen mit der Kapuze, der vor der Tür stand, die in die Eingangshalle führte, und Seth ansah.
»Ich hab’s dir ja gesagt. Du wirst die Sach’n so seh’n, wie sie wirklich sind«, sagte er zu Seth, ohne Mrs. Shafer weiter zu beachten, die jetzt durch die Eingangshalle trampelte und nach dem Chefportier rief, bis ihr monströser Körper schließlich wieder im Lift verschwand. Als Seth erneut zur Tür blickte, war der Junge mit der Kapuze verschwunden. Der ganze Eingangsbereich war völlig leer und ruhig, nur die Lampen an den Wänden summten leise vor sich hin. Und es roch noch immer nach verbranntem Fleisch.
Seth trat hinter seinem Pult hervor. Er suchte auf dem Teppich nach den Flecken, die Mrs. Shafer hinterlassen hatte. Es waren aber keine da. Am liebsten hätte er angefangen zu heulen. Als er sich wieder hinter das Pult gesetzt hatte, kamen ihm die Monitore der Überwachungskameras größer vor, als hätten sie sich aufgeblasen und würden auf ihn zukommen, um ihn in die Ecke zu drängen. Dann rückte die Eingangstür von ihm ab und verlor sich in weiter Ferne, als würde er sie durch ein verkehrt herum gehaltenes Fernrohr betrachten.
Er schloss die Augen und zog sich den Mantel über den Kopf, so lange, bis er seinen feuchten Atem auf dem Gesicht spürte. Nachdem er die Schuhe ausgezogen hatte, hockte er sich auf den Fußboden hinter dem Pult und kauerte sich unter seinem Mantel zusammen.
»Wir brauchen Hilfe«, sagte eine ältliche Stimme. »Kommen Sie bitte mit.« Es war Mr. Shafer, der Seth aufgeweckt hatte. Aber er sah nicht so aus wie sonst.
Er war nackt und stand schwankend auf langen knochigen Beinen neben dem Pult. Seine Fußnägel waren gelb und eingerissen. Seine Schenkel waren schrumpelig und die Rippenknochen zeichneten sich deutlich unter der bläulichen Haut seines Oberkörpers ab. Sein breiter Kopf mit der Hakennase, dem unrasierten Gesicht und den grauen Haaren schien viel zu groß für den dünnen Hals zu sein. Unter dem eingefallenen Unterleib konnte Seth ein kümmerliches
Weitere Kostenlose Bücher