Apollofalter
Anfang an habe ich die Schüler bei diesem Projekt gefördert und unterstützt.«
»Sind Sie auch mit in den Uhlen gegangen?«
»Sicher. Aber nicht so oft wie die Schüler selbst. Aber ab und zu war ich schon mit dabei. Ich wollte es mir nicht entgehen lassen, den legendären Apollofalter mit eigenen Augen zu sehen.« Sie lachte leise. »Es ist wirklich ein wunderschöner Schmetterling. Die Schüler protokollierten die Entwicklungsstadien des Apollofalters im Laufe der Jahreszeiten. Also vom Ei über die Puppe bis hin zum fertigen Imago. Weil die Schüler im Uhlen soviel Zeit verbrachten, haben sie natürlich auch all die anderen seltenen Pflanzen und Tierarten beobachtet, die es dort gibt. Sie haben Smaragdeidechsen entdeckt und die Zippammer und auch noch etliches andere, das die Wärme liebt. Bei ihren intensiven Beobachtungen haben sie einiges über die Gesetze der Natur gelernt. Beispielsweise, dass das eine das andere bedingt. Also in diesem Fall, dass das Wachstum der Sedumpflanze das Leben des Apollofalters ermöglicht. Und wenn man ihm die Basis raubt, stirbt nicht nur das Sedum, sondern auch der Apollo. Auf diese Weise haben die Kinder etwas Grundlegendes über das Werden und Sein der Lebewesen auf Erden begriffen. Und auch, welche große Verantwortung der Mensch hat. Also das, was wir Biologielehrer ihnen beizubringen versuchen. Aber Sie wissen ja: grau ist alle Theorie. Es ist einfach etwas anderes, wenn man all dies leibhaftig vor sich sieht.« Die Lehrerin verzog lächelnd den Mund. »Wir haben natürlich auch darüber gesprochen, dass man mit Unkrautvernichtungsmitteln sehr vorsichtig sein muss und diese nicht nach Gutdünken anwenden darf. Was dem Weinstock nützt, kann für andere Gewächse durchaus schädlich sein.« Sie hob die Schultern. »Der Weinbauer spricht von ›Pflanzenschutz‹, während die Umweltschützer von ›Vernichtung‹ sprechen. So kann man bereits an der Terminologie die Einstellung eines jeden ablesen. Auch diese Erkenntnisse flossen in das Schüler-Projekt mit ein. Anfang der Achtziger wurden mit Hubschraubern großflächig Insektengifte versprüht. Davon waren natürlich auch die dazwischenliegenden Felshänge und damit die Wuchsorte der Fetthenne betroffen. Was wiederum eine Reduzierung des Apollo-Bestandes zur Folge hatte. Inzwischen ist man jedoch sehr viel sensibler geworden, was die Unkrautvernichtung betrifft. Mit den Hubschraubern versprüht man nur noch Fungizide. Die schaden weder den Tieren noch den Wildpflanzen. Herbizide werden nur noch punktuell eingesetzt. Dadurch hat sich der Bestand des Apollos gut erholt. Diese Zusammenhänge zu erkennen, halte ich gerade in meinem Beruf für sehr wichtig. Inzwischen ist die Arbeit der Schüler so fundiert, dass ich glaube, sie hat gute Chancen, prämiert zu werden. Und es ist äußerst schade, dass Hannah das nicht mehr erleben darf. Sie hat nämlich maßgeblich zu vielen Erkenntnissen beigetragen.« Die Frau legte den Kopf schief. »Aber warum wollen Sie das eigentlich alles wissen? Hannah ist doch nicht im Uhlen, sondern in einer anderen Lage aufgefunden worden.«
»Das ist schon richtig«, räumte Franca ein. »Aber auch beim Brückstück handelt es sich um eine extreme Steillage. Ist dort die Pflanzen- und Tierwelt nicht vergleichbar mit der im Uhlen?«
»In etwa schon«, sagte die Lehrerin. »Allerdings werden Sie im Brückstück keinen Apollofalter fliegen sehen. Der fliegt nur unterhalb der Autobahnbrücke. Ansonsten dürfte es zugegebenermaßen keine großen Unterschiede geben.«
Franca rührte gedankenverloren in ihrer Tasse. Dann fixierte sie die Lehrerin. »Gibt es dort Schlangen?«
Frau Weidmann nickte. »Ja. Die Würfelnatter. Ich bin einmal von einer gebissen worden. Ich kann Ihnen sagen, den Schmerz vergisst man sein Leben lang nicht.«
Franca hörte ihr aufmerksam zu.
»Schlingnattern kann man auch dort beobachten. Und natürlich Blindschleichen. Aber die sind ja streng genommen keine Schlangen.«
»Wie sieht es mit Giftschlangen aus?«
»Die gibt es in unserer Gegend nicht.« Auf dem Gesicht der Lehrerin erschien ein verschmitztes Lächeln. »Die Winninger Schlangen sind alle harmlos.«
»Was ist mit Kreuzottern?«
Frau Weidmann schüttelte den Kopf. »Kreuzottern mögen es nicht so warm. Sie lieben es eher kühler. Ganz davon abgesehen sind sie längst nicht so gefährlich wie ihnen der Ruf vorauseilt. Ihr Gift reicht auch kaum aus, einen Menschen zu töten. Allerdings ähneln die Würfelnattern
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