Apollonia
Gedanken …
– Der Mensch ist schlimmer als das Vieh, sagte Apollonia.
– Man müsste nur gucken, sagte Schajis Frau zögerlich, wo der Joseph Heidrich wohnt, und die Berta Hering. Ich habe gar keine Courage zu fragen.
– Naja, ich weiß, wo die wohne, sagte Apollonia. Die Schajs taten ihr leid und es war ihnen nicht recht geschehen. Aber sollte man sich einmischen? Und sich Scherereien machen? Sie hatte genug Zores mit Klemens und mit der kranken Mutter und mit den Ruhrpottwitwen, die man ihr unters Dach gesetzt hatte. Nun ja, sie wollte der Frau vom Schaj Simon aber wenigstens den Weg zeigen und ging mit ihr hinauf zum Joseph und zur Berta, und beim Joseph bekam Simon zehn Mark und bei Berta fünf Mark, und dann mussten sie zum Bertels Franz, doch als der Franz sie kommen sah, schrie er:
– Ihr könnt gleich wieder gehen! Dem Juden brauchen wir kein Geld mehr zu geben, der kommt sowieso weg!
Da sagte meine Großmutter:
– Dou seyst en schlechter Hund und warst es dein Lebtag!!
Da lachte der Bertels Franz nur. Das Geld hatte er sich gespart. Die anderen aber, die sahen, dass man dem Simon die Augen zerschlagen hatte, gaben ihm alles Geld, das sie hatten, damit er fortlaufen konnte und fliehen nach Amerika.
– Ach, sagte Apollonia später. Man weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Ob der es geschafft hat mit dem Geld, das er noch hat einsammeln können an jenem Tag. Am Bahnhof von Wällershofen hat man sie zum letzten Mal gesehen, da wurden sie hingetrieben, die feinen Leute vom Bekleidungshaus Joel und die Abrahams, die die Doktoren hatten, und auch die ärmeren Fellhändler, und der Religionslehrer, alle neunzig Juden von Wällershofen sind nie wiedergekommen und die von Ellingen nicht und die von Wennerode nicht und nicht die von Linnen und alle, die man so gekannt hatte, ringsumher.
Mein Großvater Klemens war auf dem Zimmerplatz und warf im Keller der Dampfmaschine mit dem Treibriemen das Schwungrad der Gatter ordentlich an, so dass überirdisch die mächtige, stampfende Säge eine schwere Fichte in frisch glänzende Bohlen zerteilte. Mit diesen Bohlen konnte man ein Gerüst bauen, oder man konnte sie über eine Baugrube legen, oder man konnte mit ihnen eine Diele oder einen Stall auslegen oder eine Kiste für Maschinen nach Übersee.
Dann wechselte Klemens die Schnittbreite der Sägeblätter und schnitt dünnere Bretter, daraus konnte man Kisten bauen, um Haushaltswaren darin zu transportieren oder Nägel und Schrauben aus der Hellersberger Schraubenfabrik oder auch einen Hund. Er grübelte noch immer darüber nach, wie man die Hundekiste an den Mann bringen konnte, bestimmt war niemand in Deutschland auf die Idee gekommen, Reisekisten für Hunde in Serie zu verkaufen. Er musste jemanden fragen, der über den Tellerrand hinausdachte, der etwas verstand vom Handel oder allgemein von weltmännischem Denken, kurz und gut:
Kurt Siebers von der Waldeslust schien ihm der Richtige zu sein, um Kontakte zu knüpfen und vielleicht einen Prospekt zu entwerfen, um in Köln oder Koblenz einmal vorstellig zu werden. Wenn mein Großvater die Hundekisten verkaufen wollte, dann zweifelsohne an reiche Leute, die oft auf Reisen gingen und ihre Hunde mitnehmen wollten, und solche Leute konnte man ja nun einmal in Scholmerbach nicht finden.
Aber beim Kurt kam mein Großvater nicht zu Wort, denn im Separee, wo der Feldmeister Schröder saß vom Reichsarbeitsdienst und der Obertruppführer Vogler und die von der Partei, da ging es hoch her. Kurt musste auftischen, was die Küche hergab, Wildfasan und rheinischer Sauerbraten und Hirschgulasch, und es floss der Schampus, sie ließen es nur so krachen, und Malwine und Kunigunde kamen dazu.
Da ging es richtig rund oder so …
– Hol deinen Papagei, kreischte der Gauleiter Mörser. Hol den Papagei!!
– Was will er denn mit dem Papagei?, jauchzte Malwine, als ob nun etwas besonders Köstliches kommen könnte.
Da kam es einem zum ersten Mal so vor, als ob der Kurt gar nicht bei der Sache war und als ob es ihm gar nicht recht war, den Papagei zu holen, und das musste man sich mal vorstellen: Die Partei kehrte bei ihm ein, aß und trank nach Herzenslust und hatte in ganz Deutschland das Sagen, und der Kurt zögerte und brachte nicht augenblicklich das Vieh herbei. Musste man etwa einen Kniefall machen, bis er sich mal bewegte?
– Wozu wollt ihr den Papagei haben? Er ist im Käfig im Garten bei den anderen Tieren.
– Ja, bring ihn halt her!, schrie Mörser
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