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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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Scholmerbach, bei dem es viele zerdetschte Köpfe und ramponierte Knochen gegeben hatte und der Schlossens noch tagelang eine dicke Nase und verquollene Augen hatte und einen Arm in der Schlinge trug, Großonkel Konrad am Stock humpelte wie ein alter Mann und Kollsens Veronika ein Jahr lang nichts Schweres heben konnte, weil ihr der Kartoffelsack samt meinem Großonkel Dagobert ins Kreuz gefallen war, sagte meine Großmutter, jetzt müsse Schluss sein mit der Sauferei.
    Sie war es leid mit Klemens, der ihr nicht im Stall half, nie das Kummet reparierte oder den Misthaufen aufschichtete oder die Sense schleifte und den Schweineeimer hinaustrug oder das schiefe Scheunentor wieder richtig einhängte.
    Sie wollte meinem mit Beulen und Wunden übersäten Großvater das Leben schwermachen, sprach vier Wochen lang kein Wort mit ihm, wärmte ihm nicht das Bett mit der Zinkbettflasche und kochte nur Milchbrei und Gerstenkernsuppe und Kappeskraut und alles, was ihm nicht schmeckte. Marianne sollte einen anständigen Vater haben, wie nebenan den Wisselmanns Konrad, der blieb zu Hause und flickte den Zaun, band die Bohnenstangen an und fütterte die Sau, das war ein feiner Mann. Aber nein, Klemens musste ja das ganze Dorf unterhalten, und daheim konnte alles verkommen, der Stall und die ganze Hauserling.
    Es fiel meiner Großmutter Apollonia gar nicht schwer, vier Wochen lang kein Wort zu sagen und wenn, dann mit dem Vieh oder mit Marianne und manchmal mit den Ruhrpottwitwen, wenn sie kamen, um Maß anzulegen für ein Kleid oder einen guten Rock. Es war ihr sogar lieber so, stumm die Brennnesseln auszureißen und die Kappesköpfe abzuschneiden, als so zu tun, als müsste sie über Klemens’ betrunkene Späße lachen. Ihr war nicht zum Lachen, wenn sie sich alleine im Stall herumquälte und ihr der Mist auf der Mistgabel zu schwer war. Sie malte sich sogar aus, wie sie ihm mit der Mistgabel so zusetzte, dass es ihm noch viel schlechter ging als an dem Tag, wo er besoffen vom Gäulskarren gefallen war und ihn der Kartoffelsack unter sich begraben hatte. Gerade, als sie so schön in Schwung war und mit der Gabel in ihn hineinfahren wollte, hörte sie jemanden rufen.
    – Könnt Ihr mir sagen … ob da die Frau Apollonia Heinzmann wohnt, seid Ihr das, vielleicht?
    Es war eine kleine, dunkelhaarige Frau mit einem blauen Mantel, die scheu und ängstlich um die Ecke sah.
    – Was wollt Ihr dann, fragte Apollonia missmutig.
    – Ich, sagte sie, ich habe hier den Simon, und wir wollten höflich ersuchen um das Geld, das wir noch in Rechnung haben, und ob wir um der Gnade willen dieses eine Mal vielleicht einen etwas höheren Betrag einsammeln dürften, wenn es Ihnen möglich ist.
    Dann verbeugte sich die kleine Dame ganz höflich und ganz tief. Apollonia stellte die Mistgabel hin und kam aus dem Stall und sagte:
    – Was ist dann mit dem Simon? Ist der nicht da?
    Aber der Schajs Simon stand an der Ecke, ganz kerzengerade, und sprach nicht und war wie versteinert.
    – Es ist ihm nicht gut, sagte die Frau.
    – Na, Simon, sagte Apollonia. Hast dou deine Frau mal mitgebracht. Heut hun ich aach wott fier dich. Hun isch meinem Mann aus der Tesch geklaut, wie der besoffen war. Fünf Mark!! Wott is dann los mit dir??
    Da drehte Simon sich um, und er trug eine große Brille. Sie hatten seine Augen ganz zerschlagen, und er war blind und konnte kaum gehen.
    Apollonia erschreckte sich und sagte:
    – Erbarme dich unser, was han se dir den getan, wer hat dann das verbrochen?!
    Die Frau flüsterte und sagte:
    – Es war die SS von Wällershofen, die hatte ihn in der Mangel!
    Mehr sagte sie nicht und wartete nur stumm, bis Apollonia rasch mit den fünf Mark zurückkehrte und noch drei Mark aus der Küchenschürze holte.
    Apollonia sagte:
    – Ei Simon, dann schwetz doch, was habt Ihr dann vor?
    Und er tastete nur immer wieder über den Rand seiner Brille und es schien, als schmerze sein Kopf unaufhörlich und als könne er das Tageslicht nicht aushalten.
    – Apollonia, wir müssen sehen, dass wir fortkommen, in Wällershofen ist bald keiner mehr von uns, die Synagoge ist zerstört, es will uns keiner mehr leiden …
    – Ei Simon, das doit einem ja in der Seel leid, mer weiß garnet, was dene in den Kopp herein kommt, so mit dene Mensche umzugehen, dou hass doch keinem was gedan! Hass dou dann Schmerzen?
    – Ach, sagte die Frau. Er kann ja nichts mehr sehen, und das Laufen fällt ihm schwer, die Schmerzen halten ihn wach in der Nacht und die

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