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Aprilgewitter

Titel: Aprilgewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorentz Iny
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worden war, stieß auf besonderes Interesse.
    Lore fragte sich zum wiederholten Mal, wer diese Gerüchte über sie in Umlauf gebracht haben mochte. Hier in Berlin gab es doch keinen Menschen, der sie kannte. Sollte Komtess Nathalias angeheiratete Verwandtschaft aus Bremen dahinterstecken? Ermingarde Klampt hatte es nie verwunden, dass Nathalias Erziehung einer Fremden anvertraut worden war. Natis Großtante hatte das Verwandtschaftsverhältnis als Vorwand benutzen wollen, um die kleine Komtess in die Hand zu bekommen und sich an deren Vermögen zu bereichern. Möglicherweise hatte Ermingarde Bekannte oder Verwandte in Berlin und hatte bei diesen gehetzt. Irgendwann aber, sagte Lore sich, würde dieses Geschwätz verstummen. Sie wollte Jutta gerade danach fragen, wer ihrer Meinung nach hinter dem Gerede stand, da schlug der Türklopfer an.
    »Jesus! Und ich stehe im Unterrock hier«, stöhnte das Dienstmädchen und schlüpfte rasch in ihr Kleid. Lore half ihr, es zu schließen, und wartete gespannt, welchen Besucher Jean ankündigen würde. Doch der Diener ließ sich nicht blicken. Dafür klopfte es ein zweites Mal.
    »Wo steckt der Kerl denn schon wieder?«, schimpfte Jutta und stürmte aus dem Zimmer, um selbst die Tür aufzumachen. Unterdessen räumte Lore ihre Arbeit in einen kleinen Nebenraum, der die Wäscheschränke enthielt, und beseitigte alle Spuren ihrer Näharbeit. Als Jutta zurückkam, führte sie Caroline von Trepkow herein, die sich krampfhaft an ihrer alten Tasche festhielt.
    Lore musste sich das Lachen verkneifen, denn wegen dieser Besucherin hätte sie nicht alles wegräumen müssen. Lächelnd ging sie der jungen Adeligen entgegen und begrüßte sie wie eine alte Freundin. Dann forderte sie Jutta auf, Kaffee und Kuchen zu bringen.
    »Oder trinken Sie lieber Schokolade?«, fragte sie ihren Gast.
    Caroline senkte beschämt den Kopf. »Ich bitte Sie! Machen Sie wegen mir keine Umstände.«
    »Oh, es ist nicht Ihretwillen! Ich plaudere nun einmal lieber bei Kaffee und Kuchen. Gelegentlich trinke ich dabei auch ein Glas leichten Weines, doch dafür ist es wohl noch zu früh. Also, wünschen Sie nun Kaffee oder Schokolade? Ich glaube, in der Küche ist auch noch guter Tee. In Bremen habe ich öfter eine Tasse davon getrunken, und Mary liebt ihn heiß und innig. Daher lasse ich ihn jedes Mal aufbrühen, wenn sie zu mir kommt.«
    Unwillkürlich leckte Caroline sich die Lippen, erstarrte aber, als sie sich dabei ertappte, und wurde rot. »Ich trinke das, was Sie trinken!«
    »Also wählen wir heute Schokolade. Jutta, wärst du so lieb, uns eine Kanne voll zuzubereiten?«
    »Sehr wohl, gnädige Frau!« Jutta knickste, wie es sich angesichts adeliger Damen gehörte, und verließ das Zimmer. Auch wenn es ihr nicht gefiel, dass die Besucherin nur deshalb erschien, weil sie ebenfalls für Mrs. Penn nähte, freute sie sich, dass ihre Herrin mit Caroline von Trepkow eine Gesprächspartnerin aus ihren Kreisen gefunden hatte.
    Caroline schämte sich, Almosen entgegenzunehmen, und wünschte sich daher an jeden anderen Ort der Welt. Doch sie hatte keine andere Wahl, als die Gastfreundschaft der Freifrau anzunehmen. Das Geld, das sie bei Mrs. Penn verdiente, bewahrte sie, ihre Mutter und die alte Fiene vor einem langsamen Hungertod oder dem Arbeitshaus, in das Bettler, sogenannte arbeitsscheue Personen und Menschen ohne festen Wohnsitz unnachsichtig eingesperrt wurden.
    Angesichts des eleganten Hauskleids, das Lore trug, erschienen ihr die eigenen Fähigkeiten mit Nadel und Zwirn stümperhaft, und sie befürchtete schon, den guten Stoff, den Frau von Trettin und Mary Penn ihr anvertraut hatten, ruiniert zu haben. Es dauerte daher eine Zeit, bis sie sich so weit gefasst hatte, dass sie mit ihrer Gastgeberin sprechen konnte.
    Lore beging nicht den Fehler, nach Carolines persönlichen Verhältnissen zu fragen, sondern redete über allgemeine Dinge. Obwohl ihre Besucherin schon länger in Berlin lebte, wusste diese erschütternd wenig über die Stadt. Sie kannte weder die Nationalgalerie auf der Museumsinsel, noch hatte sie von der elektrischen Trambahn gehört, die bereits im nächsten Monat in Lichterfelde den Betrieb aufnehmen sollte. Da Lore sich für solche Dinge interessierte, hatte Fridolin ihr versprochen, sie dorthin zu begleiten und mit dem technischen Wunderwerk zu fahren. Für Lore war es unbegreiflich, dass ein Fahrzeug sich von selbst in Bewegung setzen konnte, ohne von Pferden gezogen oder einer Dampfmaschine

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