Aqua
mit einem dicken Kissen darin, damit er von dieser leicht erhöhten Position nicht nur den Fluss und die Weinberge auf der anderen Seite, sondern auch den Garten sehen konnte, in den das Wasser unablässig Zentimeter um Zentimeter vorrückte. Es überraschte ihn, was alles im Wasser trieb. Der Fluss stibitzte hier was und legte es woanders wieder ab, um es sich später auch dort wieder zu holen. Wie das Teil, das er eben erst auf der anderen Seite angespült hatte. Es konnte sich um die Abdeckung eines Weinbergtreckers handeln. Die Maschinen waren sehr schmal, damit sie an den Hängen zwischen den Rebstöcken hindurch manövriert werden konnten.
Tränkle hatte sich die ganze Woche auf die Skatrunde zum Frühschoppen im Gasthaus gefreut, zu der er heute Morgen das erste Mal eingeladen war. Doch nun hätte er auch nichts dagegen gehabt, zu Hause zu bleiben. Bevor er das Haus verließ, steckte er das Mobiltelefon ein.
»Josef Tränkle«, meldete er sich. »Ich bin die nächsten Stunden nur mobil zu erreichen.« Zur Sicherheit hinterließ er bei der Justizangestellten, deren Namen ihm nicht geläufig war, die Nummer seines Handys, unter der sie ihn als diensthabenden Richter erreichen konnte.
Sie hockten wieder eine Weile stumm nebeneinander und starrten durch die Frontscheibe. Das Wasser schwappte links und rechts über die lange Motorhaube und ergoss sich davor in einen Wirbel. Die Minuten zogen sich zu einer Viertelstunde. Um nicht durchzudrehen, stellte sich Silvana vor, wie Spezialfahrzeuge herangekarrt werden mussten, ein Hubschrauber von weit her im Anflug war, sich ein Rettungsboot stromaufwärts kämpfte. Und auch über die Weinberge war eine Hilfsmannschaft unterwegs.
Dabei sah sie immer wieder verstohlen auf ihre Uhr. Hatte der Alarm von vorhin überhaupt ihnen gegolten?
Die Vibration im Wagen schien zugenommen zu haben, immer wieder trafen im Wasser treibende Gegenstände das Heck. Es war ihr inzwischen einerlei. Als auch nach einer halben Stunde keine Hilfe in Sicht war, hörte sie nebenan ihre Freundin keuchen.
»Versuche, ganz ruhig zu atmen«, redete sie beruhigend auf Eva ein. »Lege dir die Hand auf den Bauch, dann spürst …«
»Wir müssen die Scheibe …«, ihre Freundin rang nach Atem, »… sie einschlagen und dann winken und … rufen.«
»Ich glaube, das ist keine …«
Silvana zuckte zusammen und hielt sich instinktiv die Hände vor das Gesicht, als Eva mit einem Knirps, der wohl aus ihrer Handtasche stammte, ausholte und die Metallspitze mit voller Wucht gegen die Scheibe an ihrer Tür schlug. Das Glas hielt stand. Sie versuchte es noch zwei Mal und holte dabei so weit aus, dass Silvana sich nach links an ihre Tür drängen musste, um nicht getroffen zu werden.
»Scheiße!« Eva warf den Schirm in den Fußraum, zog ihre Beine an, bis ihre Knie fast die Brust berührten, und trat gegen die Frontscheibe. Auch nach dem zweiten Tritt zeigte sich dort nicht einmal ein Riss.
Als sie die Armbewegung sah, wusste Silvana, was ihre Freundin vorhatte. Sie konnte nicht einmal mehr rufen, da traf die Strömung die aufschwingende Tür, drang in den Wagen, schwappte über das Armaturenbrett hoch an die Front- und die Seitenscheibe. Das Auto geriet in Bewegung und drehte sich, als wäre die Tür die Schaufel eines Mühlrads. Eva wurde hinausgerissen. Silvana klammerte sich ans Lenkrad und sah, wie das blonde Haar ihrer Freundin immer wieder auftauchte, als der Fluss sie wegspülte, als sei Eva eine Puppe, die er sich geraubt hatte.
Es war eine gute Skatrunde mit teils spannenden Spielen gewesen. Seine leichte Nervosität zu Anfang hatte Tränkle, der seit seinen Jahren in Erfurt kaum mehr eine Skatkarte in den Händen gehalten hatte, schnell überwunden. Es hatte spannende und lustige Momente gegeben und am Schluss eine Einladung für den nächsten Sonntag.
Gleich nachdem er zu Hause das Festnetztelefon kontrolliert hatte, war er zum Fenster gegangen. Für einen Moment stockte ihm der Atem. In den vergangenen zwei Stunden war das Wasser in den Garten eingedrungen, hatte den Komposthaufen umzingelt und den gemulchten Streifen mit den Beerensträuchern überspült. Nun leckte es an dem einige Zentimeter höher gelegenen Nusspflaster, das den schmalen Weg säumte, der durch die Rabatte führte. Seine geheime Sensationslust war schlagartig gestillt, und er wünschte sich nichts mehr, als dass bald der Scheitel des Hochwassers erreicht war.
Weiter draußen änderte der Hauptstrom des Flusses immer
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