Aqua
seinem nassen Overall. Er drückte ein zweites Mal den Klingelknopf und murmelte dabei, sich in seine Rolle als Mitarbeiter der Stadtwerke versetzend, vor sich hin: »Ich bin heute schon nass geworden.« Das würde seinen Jogginganzug erklären. »Hab mir obendrein böse den Rücken gestoßen.« Das wäre ein Grund für seine steifen Bewegungen. Niemand konnte ihm ansehen, wo es tatsächlich weh tat. Er drückte den Klingelknopf zum dritten Mal und schaute zu den mit Sandsäcken verbarrikadierten Kellerschächten, die das still steigende Wasser umspülte.
»Stadtwerke Trier!«, sagte er zu sich selbst. »Ich muss das Rückschlagventil des Abflusses zum Kanal im Revisionsschacht im Keller kontrollieren.« Das hörte sich, wie er glaubte, plausibel an. Aber auch diesmal gab es keine Reaktion.
Über ihm waren Schritte auf den Brettern zu hören. Weil es wohl nicht mehr genug Roste gab, blieb er hier unten ungesehen. Vorsorglich griff Hansen nach einem der Sandsäcke, der sich auf der linken Seite nicht ganz an den Türrahmen anschloss. Den Versuch, dessen Lage zu korrigieren, musste er wegen der Schmerzen abbrechen, noch bevor sich die Schritte entfernten. Er hätte sich mehr Pillen mitnehmen sollen. Die Wirkung des Schmerzmittels von vorhin ließ schon wieder nach. Was sollte er jetzt machen? Er konnte Vera Helmes schlecht einen Zettel schreiben und in den Briefkasten stecken, der sowieso bald überflutet wäre, abgesehen von seiner Handschrift. Aber irgendeine Botschaft sollte dieses Miststück bekommen.
In ihrem Kellerraum gab es immerhin Licht. Leo hatte die defekte Birne ausgewechselt. Durch die Lattenkonstruktion, die oberhalb der bis zum Türsturz gemauerten Wand bis zur Decke reichte, schien etwa Wind hereinzuwehen. Es quatschte unter ihren Füßen. Vera Helmes schreckte reflexartig zurück, weil sie glaubte, in etwas getreten zu sein, das ausgelaufen war, womöglich Farbe, dann konnte sie ihre bequemen Hausschuhe in den Müll werfen. Es gab keine trockene Stelle, auf die sie ausweichen konnte. Beim Herausziehen der Taschenlampe fiel die Visitenkarte des Kripomannes aus ihrer Westentasche. Sie bückte sich danach und fischte sie aus der braunen, undurchdringlichen Brühe, auf die sie nun den Strahl der Lampe richtete. Das Wasser suchte sich unter dem hohen Spalt unter der Tür hindurch seinen Weg.
Vera Helmes leuchtete an dem Metallregal entlang, in dem noch Eimer mit Farbresten der letzten Renovierung, defekte und ausrangierte Elektrogeräte und Umzugskisten standen. Dabei traf das Licht einen dunkel glänzenden Streifen an der hellen Wand. Sie richtete den Strahl nach oben zu dem Rost im Kellerschacht, wo das Wasser inzwischen durch die Sandsäcke leckte. Ein schabendes Geräusch und das Zuschlagen der Tür ließen sie zusammenzucken und den Atem anhalten.
Die Fußmatte, auf der Hansen stand, war in der kurzen Zeit überspült worden. Er schaute nochmals am Haus hinauf und sah das angelehnte Fenster. Er ging die ansteigende Straße soweit hinauf, bis er in die Höhe des Notstegs gelangte, bei dem er sich erst versicherte, ob er stabil war. Während der ersten Schritte über die Bohlen legte er die linke Hand auf die Querstreben aus Aluminium, unter denen dicke Wassertropfen hingen. Am ersten Haus brannte hinter den Fenstern Licht. In den Gebäuden dahinter schien sich niemand mehr aufzuhalten. Beim fünften Haus konnte er bis zur Uferstraße sehen, die der Fluss inzwischen auf ganzer Breite überflutet hatte. Vor ihm schimmerte das Wasser in der Krahnenstraße in den Farben des Regenbogens. Hansen wusste, was das bedeutete. An Absaugen oder eine Ölsperre war in dieser Situation nicht zu denken. Wo diese Brühe ins Haus floss, würde kaum mehr etwas zu retten sein.
Er atmete so tief ein, wie es sein Verband zuließ, als er mit der nassen Hand das angelehnte Fenster aufschob und ohne sich umzuschauen einen Schritt hinunter auf den Fußboden machte.
»Hallo?« Seine Stimme war kaum lauter als das Quietschen seiner Schritte auf den alten Holzdielen. An der Wohnungstür gab es zwar kein Schild, aber es musste die von Vera Helmes sein. Was tat er hier? Noch während er auf den Ständer mit Walkingstöcken und Regenschirmen starrte, hörte er von unten ein Rumoren.
Da er sich aufgrund seines Handicaps nicht mit der rechten Hand am Geländer abstützen konnte, schlich Hansen, vorsichtig seine Schritte aufsetzend, um das Knarren der Stufen zu verhindern, außen an der Mauer entlang die Treppe
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