Aqualove
war zu erschöpft, um mich noch dagegen zu wehren. Ethan Waterman: Vermutlich liebe ich dich, dachte ich still in einer kleinen Ecke meines müden Verstandes. Die Überlegungen waren müßig. Wenn das der Gipfel war, würde der Abstieg kurz werden.
Als das Mob gegen acht klingelte, wusste ich, dass es Ethan sein musste. Er wollte wissen, wie es mir ging. Ich sagte, gut, und wartete auf etwas, das meine Laune schlagartig verbessern würde. Ich wartete umsonst. Ethan klang reserviert. Er müsse weg. Wir würden telefonieren. Verletzt, außen wie innen, setzte ich mich an meine Tastatur und stellte erfreut fest, dass der linke Daumen für Rechtshänder der noch am ehesten verzichtbare Finger beim Tippen war.
Der Verband war zwar im Weg, aber ansonsten hatte ich keine Buchstabenlücken oder ähnliche Verluste in meinem Text zu verzeichnen. Ich telefonierte mit Keeler, ob er etwas für mich hätte. Versuchte, mich abzulenken. Nein, aber die letzte Ausgabe wäre schon jetzt vergriffen und wann mit dem eigentlichen, ausführlichen und persönlichen Interview mit Mr. Waterman zu rechnen sei? Ich klärte Keeler über Ethans Abwesenheit auf und beteuerte nochmals meine Bereitschaft, an der Sache dranzubleiben. Wenn Keeler gewusst hätte, wie ernst ich meinen Auftrag bisher genommen hatte, wäre er voraussichtlich schreiend aus seinem Büro gelaufen. Als ich auflegte, merkte ich, dass ich das Foto nicht erwähnt hatte. Ich erledigte noch ein paar Dinge, recherchierte für zwei Interviews, die ich für den kommenden Monat vorbereitete, und rief Pearl zurück, die mir eine Nachricht hinterlassen hatte. Was ich in Ethans Pool gesehen hatte, ließ mir keine Ruhe. Pearl ließ es kalt.
Ich erzählte ihr von den außergewöhnlichen Schwimmern, von ihrer Eleganz und Schnelligkeit. Sie riet mir, die Schmerzmittel abzusetzen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Verbissen warf ich daraufhin mein Mob an und googelte mich durch die gesamte Fauna und Flora der Ozeane. Was genau hatte ich tatsächlich gesehen? Menschen, die sich wie Tänzer im Wasser bewegten. Die so schnell schwimmen konnten, dass ihre Bewegungen mit bloßem Auge nicht zu verfolgen waren. Menschen, die sich unter Wasser wortlos verständigen konnten, so wie ein Schwarm Fische den Feinden nur um Haaresbreite mit eleganten Manövern ausweichen konnte. Ich konnte wählen zwischen Einträgen über
Menschen mit Aquarien oder Menschen, die Atlantis bevölkert hatten. Es war irrsinnig, unsinnig, Quatsch!
Abstand
Montagabend. Pearl und ich saßen auf meinem Sofa und schauten dem Streaming zu. Wir waren bei einer Krimiserie hängen geblieben, die in den Südstaaten spielte. Das Ermittlungsergebnis jeder Folge war, dass Bewohner der Südstaaten offensichtlich nicht in der Lage waren, vernünftige Verbrechen zu begehen. Ich fand es zum Totlachen. „Lass das, Pearl, das ist echt eklig.“
Sie saß, die Füße im Schneidersitz untergeklemmt, in einem undefinierbar braunen Outfit versunken neben mir. Schmollend nahm sie ihren Finger aus der Nase.
„Nur weil du das gerade nicht kannst.“
Wir starrten beide auf meinen verbundenen Daumen. „Du bist krank, Pearl. Nur der Vollständigkeit halber möchte ich darauf hinweisen, dass ich noch ein paar andere Finger habe. Trotzdem verzichte ich auf so was.“
„Schon klar. Wie geht’s dir?“
„Tut weh, aber ich brauche kein Morphium, wenn du das meinst.“
„Soll ich dir noch irgendwas bringen?“
„Ich könnte dich jetzt also schamlos ausnutzen, ja?“
Pearl seufzte. „Könntest du. Willst du?“
Ich lachte. „Eine Cola hätte ich noch gern, wenn du schon so nett fragst.“
Mühsam schälte sich Pearl aus den Sofakissen. Im Aufstehen begriffen, hielt sie kurz inne.
„Jetzt praktiziert er also auch noch als Arzt.“
„Wer?“, fragte ich stirnrunzelnd. Manchmal konnte man Pearls Gedankensprüngen wirklich nicht folgen.
„Waterman. Ich dachte, er wäre Wissenschaftler.“
„Ging mir genauso. Aber ich kann dir versichern, dass er seine Arbeit ganz ordentlich macht. Allerdings fehlen mir natürlich die Vergleichsmöglichkeiten.“
„Scheint so.“ Gedankenverloren nahm sie eine Flasche aus dem Kühlschrank.
„Was ist, Pearl? Spuck’s aus!“
„Ich frage mich nur, wieso du vergangene Woche fast täglich ein Date mit Ethan Waterman hattest, obwohl du eine Woche zuvor kaum seinen Namen, geschweige denn sein Gesicht kanntest.“ Ein Wölkchen feinen Sprühnebels stieg über der Flasche auf, als Pearl den
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