Arabellas Geheimnis
zur Burg zurückkehren kannst, bevor der Schnee noch höher liegt.“ Er zog eine Münze aus seiner Börse und wünschte sich, er könnte dem Jungen einen Mantel geben, ohne ihn dadurch in Verlegenheit zu bringen. In des Buben Alter konnte Stolz wichtiger sein als Wohlbefinden.
Tristan nahm die Botschaft und schenkte dem Jungen zwei Münzen.
„Falls du in Zukunft lieber das Schwert als ein Blatt Pergament schwingen möchtest, dann melde dich freiwillig zum Überbringer der nächsten königlichen Nachricht an Ravenmoor“,sagte Tristan. Er erkannte jetzt, dass der dunkle Fleck auf dem Gesicht des Jungen, den er für Schmutz gehalten hatte, in Wirklichkeit eine Prellung war.
Der Junge verbarg seine Freude nicht. Anscheinend war er nicht zu stolz, sich mit breitem Grinsen über die Aussicht zu freuen, eine Waffe zu führen.
„Das will ich tun, Herr.“ Er nickte und verbeugte sich linkisch vom Sattel aus. „Ich danke Euch.“
Tristan entließ ihn und las das Schreiben. Es war eine Botschaft, die von einem Spion Tristans stammte und die der König ihm nachsandte. Der Inhalt war kurz und deutlich.
Ravenmoor, die Männer, die Ihr sucht, gehören einer ketzerischen Sekte an, welche das Verbrechen bege hen will, den König des Heiligen Römischen Reiches zu stürzen.
„Was steht drin?“ Arabella flocht Zöpfe in die Mähne ihres Pferdes, während sie auf eine Antwort wartete.
Er blickte sie durchdringend an, diese Frau mit dem ungezähmten Benehmen und der rangniedrigsten Geburt von allen in ihrer Gruppe. Diese Frau, die es trotzdem schaffte, überall, wo sie auftrat, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein kalter Wind riss ein paar letzte trockene Blätter von den Zweigen über ihnen.
„Es scheint, dass deine Bewunderer Ivan und Thadus nicht an irgendeinem Lösegeld interessiert sind, das du ihnen einbringen könntest.“ Er stopfte das Pergament in die Satteltasche. „Sie planen, ein ganzes Königreich zu zerstören. Hast du irgendeine Idee, wieso sie glauben, die Entführung einer eigensinnigen Heilerin könnte sie in ihrem ketzerischen Anliegen weiterbringen?“
Die ganze Gruppe verstummte und Tristan stellte fest, dass selbst die am weitesten entfernten Reiter, die am Schluss neben Simon geritten waren, sie inzwischen eingeholt hatten. Wie auf Kommando drehten sich alle um und gafften Arabella an. Sofort bereute Tristan seine Worte.
Ganz gleich, was seine Absicht gewesen war, aber indem er seine Frau in einem Atemzug mit Ketzerei genannt hatte, war Arabella in Verdacht geraten, etwas mit dem Komplott gegen den König zu tun zu haben.
So gewiss, wie es während der nächsten vierzehn Tage ihrer Reise nach Norden immer winterlicher um sie herum wurde, so gewiss traf ein kalter Hauch ihre Ehe. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte Arabella solch eine ungemütliche Witterung erlebt. Von der See her strich ein eisiger Wind über die Hügel und brachte nassen Schnee und so manchen kleinen Unfall mit sich. Einer der Bewaffneten hatte einen Pfeil in die Hüfte bekommen. Er war von einem hohen Felsen abgeschossen worden, doch kein Schütze war zu entdecken gewesen. Vor zwei Tagen war Maria krank geworden und brauchte die Wärme eines guten Feuers, um den rasselnden Husten zu lindern, der sie plagte.
Aber Arabella war sich sicher, dass sie Maria und auch dem unglücklichen Wächter, den der Pfeil getroffen hatte, würde helfen können. Doch sie bezweifelte, dass sie mit ihren Heilkünsten etwas ausrichten konnte, wenn es sich um ihre hastig geschlossene und von ihrem Gatten als rein gesellschaftliches Abkommen betrachtete Ehe handelte. Arabella hatte gehofft, die heißen Nächte mit Tristan würden sie irgendwie einander näherbringen. Doch die Reise machte jede Intimität unmöglich, und das ließ Arabella nur zu klar erkennen, was alles in ihrer Ehe fehlte. Wie konnte sie nur glauben, einen Weg zu finden, der sie zur Liebe führte, wenn das Einzige, was sie mit Tristan verband, rein körperlicher Natur war?
Aufgewachsen in einem Haus voller Frauen, verstand sie die Männer nicht. Und sie war in dem Wissen erzogen worden, dass ihr Vater ihre Mutter betrogen und verlassen hatte. Wie sollte Arabella begreifen, wie ein Mann empfand, geschweige denn, einem Mann vertrauen?
In Tristans Gegenwart musste sie auf ihre Worte achten, denn er hielt an der Vorstellung fest, ihre Arbeit mit den Kräutern beinhalte eine Art von Zauber. Dass er ihre Träume für unwichtig hielt, hatte sie tief verletzt und das Trennende
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