ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
rückte so nah an ihn heran, wie es ging, obwohl der Schmerz gewichen war, und mit ihm die volle Wirkung seiner Magie. Fast wünschte sie sich, seine charismatische Magie hätte weiterhin die gleiche Macht über sie wie gerade eben noch, als er sie dieser entsetzlichen Pein ausgesetzt hatte. Doch noch stärker war das überwältigende Verlangen, ihn in die manikürten Finger zu beißen – oder zu kotzen. Das kalte Metall des Käfigs grub sich hart in ihre Seite.
»Was hast du ihm noch gesagt, Kleines?«
Aralorn wich zurück und sah ihn mit großen Augen an, während sie gleichzeitig merkte, dass sich ihre Gedanken allmählich wieder klärten. »Wolltet Ihr, dass ich ihm etwas anderes sage? Ich hab es nicht, weil ich nicht sicher war, ob Euch das recht gewesen wäre.« Absichtlich riss sie ihre Augen noch weiter auf, als würde sie ihn förmlich anflehen, doch zufrieden mit ihr zu sein, wobei sie sich Mühe gab, innerlich nicht zu verspannen in Erwartung der entsetzlichen, ihren Körper verdrehenden Pein.
»Nein. Du hast deine Sache gut gemacht.« Gedankenverloren tätschelte er ihr die Wange. »Ich hatte mich in letzter Zeit um andere Dinge zu kümmern und kam somit nicht dazu, mich dir mehr zu widmen. Morgen, wenn ich mit dieser Zauberformel fertig bin, habe ich einen Verwendungszweck für dich.«
Hätte sie noch letzte Zweifel gehegt, worüber er sprach, so wurden diese von der Hand, die sanft ihre Brust herabwanderte, zerstreut. Der ae’Magi schien zu glauben, dass der Schauer, der sie bei seiner Berührung durchfuhr, Ausdruck ihres Verlangens war. Er lächelte sie warm an und schlenderte sodann, eine fröhliche Melodie vor sich hin summend, durch einen der Bogendurchgänge hinaus.
Aralorn blickte auf ihr Ebenbild in dem Spiegel an der Rückwand des Käfigs. Der ae’Magi musste seinen Illusionszauber aufgehoben haben, denn sie sah nicht länger einen Vogel. Das flackernde Fackellicht verlieh dem feinen, blonden Haar einen flimmernden Glanz. Das zarte Gesicht, das sie ausdruckslos anstarrte, war außergewöhnlich schön. Eine dünne Schweißschicht schimmerte auf ihrer Stirn, und der verschleierte Blick der seegrünen Augen wirkte verstört und verletzbar.
Jäh wütend über diese Verletzlichkeit, streckte Aralorn ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. Nicht, dass sie sich danach besser gefühlt hätte.
Eng umschlang sie ihre Beine mit den Armen. Mit auf die Knie geneigtem Kopf lauschte sie den Geräuschen der Dienerschaft, die bereits die Feuerstellen mit Asche bedeckte und die Fackeln auslöschte. Sie versuchte, sich die unkontrollierbare Panik zu erklären, die der Gedanke an eine intime Berührung des Magiers bei ihr hervorgerufen hatte.
»Geduld, Aralorn, Geduld«, ermahnte sie sich mit beinahe lautloser Stimme. »Wenn du dich jetzt davonmachst – immer vorausgesetzt, du kannst dich davonmachen –, wird er an dem zweifeln, was du ihm über Myr erzählt hast, was auf lange Sicht gesehen freilich sowieso nicht von Bedeutung sein dürfte.« Sie hob den Kopf und richtete die nächsten Worte an ihr Spiegelbild, die Stimme triefend vor Galgenhumor: »Aber wenn ich aus diesem Ding hier nicht bald rauskomme, drehe ich durch und erzähle ihm alles, was ich weiß, angefangen beim Namen meines ersten Ponys bis hin zu der kahlen Stelle auf dem Kopf von Audreas dem Eitlen.«
Es war die Wahrheit. Vier Tage – sie zählte nicht die Stunden, die sie allein hier eingesperrt zugebracht hatte. Ein fünfter Tag würde sie brechen. Und irgendjemand musste den Meisterspion davon in Kenntnis setzen, was in der Burg des ae’Magi geschah.
Nachdem ihre Entscheidung gefallen war, wartete sie, bis die Geräusche der Burg allmählich verebbten und der Mond hoch am Himmel durch die lichten Deckenpaneelen lugte.
Dann, als sie mehr oder weniger davon überzeugt war, dass die Menschen, die sich zur Ruhe begeben hatten, auch tatsächlich schliefen, kniete sie sich vor die Käfigtür. Umfasste sie an den äußeren Gitterstäben und begann leise zu murmeln, dabei bisweilen in eine Art Singsang verfallend, der ihr half, ihre Magie zu fokussieren. Sie schob jeden Zweifel, der sie beschlich, entschlossen beiseite: Zweifel würden die bescheidene Gabe, die sie besaß, nur lähmen. Sie dankte der Eitelkeit des ae’Magi, die dafür gesorgt hatte, dass ihr Käfig aus kostbarem Silber anstatt aus Eisen bestand, das seiner Gefangenen getrotzt hätte, bis deren Knochen zu Staub zerfallen wären.
Schließlich fingen zuerst ihre Finger,
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