ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
dann ihre Hände an in einem phosphoreszierenden Grün zu leuchten. Nach und nach ging der Schein auf das Metall in ihren Händen über. Als endlich die gesamte Gittertür von dem matten, flackernden Schimmer erfüllt war, trat sie hindurch, ohne den Zauberbann, der auf den Schlössern lag, auch nur zu verletzen. Ihr ganzer Körper schmerzte von der Magie des ae’Magi, doch das war nichts, was nicht binnen ein oder zwei Tagen vergessen sein würde. Nichts, was sie hier und jetzt aufhalten konnte, und das war im Augenblick ihre einzige Sorge.
Das Leuchten ihrer Magie erstarb und ließ den großen Saal so schwarz wie Tinte zurück. Einen Moment lang stand sie still da und wartete, bis ihre Augen sich an die Sichtverhältnisse angepasst hatten, bevor sie sich weiter in den Saal hineinwagte.
Das einzige Licht in dem Raum kam von den Dachfenstern hoch oben, kaum mehr als ein blasser Widerschein des Mondes, was es schwierig machte, die Durchgänge zu erkennen. Sie nahm den ersten Ausgang, den sie ausmachen konnte, und hoffte, dass es einer der beiden war, die durch die Außenmauer der Burg führten.
Sie lief tief geduckt, setzte mitunter eine Hand auf den Boden, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Es war eine etwas unbeholfene Fortbewegungsart, doch die Leute pflegten gemeinhin in Augenhöhe zu gucken, sodass sie von ihrem Blickwinkel aus in der Lage sein sollte, eine Wache zu erspähen, bevor diese sie entdeckte. Darüber hinaus hatte ihre Haltung den Vorteil, dass sie ein kleineres Ziel abgab, wenn man sie sah.
Der Flur war ein wenig heller, als es der große Saal gewesen war. Der Steinfußboden war trocken und kalt, und im Laufen strich Aralorn mit einer Hand sacht die Mauern entlang. Die rettende schmale Öffnung zu finden dauerte länger, als es eigentlich sollte.
Panik ergriff sie, und die Versuchung, einfach blindlings den Gang hinunterzustürmen, war beinahe überwältigend. So ungefähr , dachte sie sarkastisch, muss sich ein Fasan fühlen, kurz bevor er aus seinem Versteck heraus direkt in die Flugbahn des Pfeils hüpft . Sie kämpfte das Entsetzen nieder und verstaute es dort, wo es nicht mehr herauskommen würde, bis alles vorbei war.
Sie hatte sich fast schon entschlossen, nach einer anderen Fluchtmöglichkeit zu suchen, als sie endlich fand, wonach sie suchte. Knapp oberhalb der unteren Reihe von Steinblöcken ertasteten ihre Finger das Ende eines Rohrs, das bündig mit der Mauer abgeschnitten worden war. In Gedanken segnete Aralorn den alten Mann, den sie eines Abends in einer Schenke getroffen und der ihr eine Geschichte erzählt hatte.
Es war einmal vor Hunderten von Jahren, da hatte der Lehrling eines ae’Magi in einem Buch, das er während der Abwesenheit seines Meisters las, einen alten Regenzauber entdeckt. Drei Wochen später, als der Erzmagier wieder nach Hause gekommen war, hatte die Burg unter Wasser gestanden und der Lehrling in einem Zelt davor gehockt. Zweckdienlicherweise hatte der Erzmagier die Burg wieder trockengelegt, indem er im äußeren Korridor an jedem sechzehnten Steinblock ein Abflussrohr platziert hatte.
Und eines dieser Abflussrohre befand sich jetzt unter ihren Fingern. Es war größer, als sie gehofft hatte; im Durchmesser etwa vier Finger breit. Und es führte direkt durch die dicke Steinmauer nach draußen. Die Luft, die durch das Rohr hereinkam, roch nach Burggraben. Nach Freiheit.
Sie atmete tief ein und sammelte sich. In ihrem Körper breitete sich das vertraute Kribbeln aus, bis sie nichts anderes mehr spürte, kein Platz für ihre anderen Sinne mehr war. Unfähig zu sehen oder zu fühlen, konzentrierte sich Aralorn auf die jeweiligen Teile ihres Körpers, die sich einer nach dem anderen in die einer Maus verwandelten; zuerst die Nase, dann die Schnurrhaare. Es kostete sie nicht mehr Zeit, als nötig war, um drei Mal tief Atem zu holen. Dann kauerte dort, wo sie gestanden hatte, ein klitzekleines Mäuschen.
Die Maus, die Aralorn nun war, drückte sich einen Augenblick an die Mauer in Erwartung darauf, dass der ae’Magi die Magie, die sie angewendet hatte, untersuchte – doch er ließ sich nicht blicken. Normalerweise waren menschliche Magier nicht sensibel genug, um jemand anderen, der Magie benutzte, zu bemerken, aber der ae’Magi war eine Klasse für sich.
Die Maus schüttelte sich kurz, zuckte mit ihren Schnurrhaaren und kratzte sich an einer Stelle, wo das Kribbeln noch nicht ganz aufgehört hatte; dann kraxelte sie hinauf in das Rohr.
Es war
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