ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
stockfinster darin, und es stank; Ersteres störte sie nicht sonderlich, doch Zweiteres tat es durchaus. Der Schlamm von Jahrhunderten hatte sich in der Öffnung gestaut, und wenn sich nicht bereits manch anderer wackerer Nager hindurchgegraben hätte (vielleicht um einer Burgkatze zu entkommen), hätte sie es nie und nimmer geschafft. Doch so oder so, sie steckte bauchtief in irgendwelchem ekligen Zeug. Ganz damit beschäftigt, sich bloß nicht die Zusammensetzung der Jauche vorzustellen, wäre sie um ein Haar aus dem Rohr und in den Burggraben darunter geplumpst – allein eine wenig graziöse, doch höchst athletische Verrenkung bewahrte sie vor dem Sturz.
Schließlich balancierte Aralorn, vor Aufregung zitternd, an der Kante des alten Kupferrohrs. Fast. Fast draußen. Nur noch diese eine Hürde, dann wäre sie auf und davon.
Die kleine, schlammüberzogene Maus sprang. Die Luft um sie herum verschwamm, und im nächsten Moment flatterte plump und ungelenk eine weiße Gans über das Wasser; von einem ihrer Flügel tropfte schmieriger Dreck. Viele Vögel flogen besser als eine Hausgans – die meisten, um ehrlich zu sein, denn sie brachte kaum mehr als einen leidlichen Gleitflug zustande. Allerdings war die Gans der einzige Vogel, in den Aralorn sich zu verwandeln verstand.
Behindert durch die nassen Flügel, war sie jedoch nicht imstande, an Höhe zu gewinnen. Flatternd landete sie ein paar Hundert Meter hinter dem Graben und kurz vor dem die Burg umgebenden Forst. Sie glättete ihre Federn und watschelte, die schlammbedeckten Flügel sorgfältig von sich gestreckt, los Richtung Wald.
Da brach urplötzlich ein schwarzer Schemen aus den Schatten hervor und stellte sich Aralorn direkt in den Weg; mattes Mondlicht schimmerte auf den elfenbeinfarbenen Fängen. Schnatternd schrak die Gans zurück und nahm gerade rechtzeitig wieder menschliche Form an, um auf dem Allerwertesten anstatt auf dem Bürzel zu landen.
Ihr ureigener Allerwertester überdies. Endlich steckte sie wieder in ihrer wahren Gestalt: klein, braunhaarig und mit unscheinbarem Gesicht. Ihr Ärger hatte die Geschwindigkeit ihrer Verwandlung beschleunigt.
»Allyns vermaledeites Leinkraut!«, schimpfte sie, sich des Lieblingsfluchs ihres Vaters bedienend. Ein dermaßen dramatischer Auftritt war völlig überflüssig, und sie hatte in den letzten paar Tagen genug Angst für zehn Leben gehabt. »Wolf, was versuchst du mir anzutun?« In Anbetracht der nahen Burg dämpfte sie ihre Stimme zu einem leiseren, wenn auch nicht minder wütenden Ton. Doch die Entrüstung wich schierer Erleichterung, und ihr war noch leicht schwindlig von der abrupten Transformation.
»Ich hätte vor Schreck sterben können« – theatralisch legte sie die Hand auf ihr Herz –, »was hättest du dann gemacht? Warum hast du mich nicht benachrichtigt, dass du hier bist?«
Reglos stand der Wolf über ihr, zerzaust und ungezähmt, mit der Stille eines wilden Geschöpfs. Unter ihrem zornigen Gezeter war er verstummt. Er wartete einen Augenblick, nachdem sie geendet hatte – so als wollte er sichergehen, dass sie wirklich fertig war.
Seine grausige, raue Stimme war leidenschaftslos, als er sprach. Er ging auf ihre Frage nicht ein. »Du hättest mir sagen sollen, dass du vorhattest, den ae’Magi auszuspionieren – hätte ich gewusst, dass du dich mit dem Gedanken trägst, den Freitod zu wählen, hätte ich dich selbst erledigt. Dieser Tod wäre besser gewesen als jeder, den er dir hätte zuteil werden lassen.« Unergründliche goldene Augen sahen sie kühl an.
Ein Grünmagier konnte in Tiergestalt sprechen – obwohl es viel Übung und großer Anstrengung bedurfte. Wolf jedoch war kein Grünmagier, jedenfalls nicht, soweit sie klug aus ihm wurde. Und die paar Menschenmagier, die sich in Tiere verwandeln konnten, waren froh, wenn sie daran dachten, sich wieder zurückzuverwandeln. Wolf war für sie ein faszinierendes Rätsel, das in keine Kategorie passen wollte.
Ein beruhigendes Rätsel zugegebenermaßen.
Sie beobachtete ihn einen Moment.
»Weißt du eigentlich«, sagte sie schließlich, nachdem sie seine Worte abgewogen hatte, »dass dies das erste Mal ist, dass ich jemanden etwas gegen ihn sagen höre? Ich hatte sogar nachgefragt, warum man mich überhaupt zum Spionieren dorthin schickte – nichts kam mir irgendwie verdächtig vor.«
Aralorn wies mit dem Kopf in Richtung der dunklen Umrisse der Burg auf dem Gipfel des Berges, ihre Silhouette verfinsterte fast den gesamten
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