ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
die Maus entkam für eine weitere Nacht. Aralorn konnte mit der Maus mitempfinden, sie wusste genau, wie sie sich fühlte.
Als sie mit ihren Habseligkeiten wieder an Wolfs Lagerplatz eingetroffen war, waren Edoms Überreste verschwunden gewesen. Nichts erinnerte mehr an den verkohlten Körper, außer einem leichten verbrannten Geruch in der Luft, als hätte jemand den Schmortopf zu lange auf dem Feuer gelassen. Wahrscheinlich hatte Wolf die Leiche beiseite geschafft; sie hatte keine Lust gehabt, danach zu fragen.
Jetzt, da die Aufregung vorbei war, war es an der Zeit, sich auszuruhen, doch sie konnte es nicht. Immer wenn sie die Augen schloss, konnte sie das nicht gänzlich tote Metall des Seelenfressers beinahe spüren, wie es in sie hineinschnitt und an mehr zerrte als nur dem Fleisch ihres Schenkels. Jedes Mal, wenn sie es schaffte, wieder einzudösen, träumte sie, dass sie zu spät kam, um Wolf zu helfen, oder dass das Schwert sich bis tief in ihre Seele hinein bohrte und sie aus einer Wunde verblutend zurückließ, die kein Verband zu stillen vermochte.
Wie sie so wach dalag in der frostigen Luft des frühen Morgens, schien ihr keine Decke dick genug, um sie vor der Nässe und Kälte zu schützen. Sie zog die Beine fest an ihren Körper und schlang, um warm zu werden, ihre Arme um sie, doch auch das wollte nichts nützen. Sie schlotterte und zitterte und wusste, dass zu einem nicht geringen Teil Angst und nicht die Nachtluft die Ursache dafür war.
Schließlich setzte sie sich auf und legte ihre Stirn auf die Knie. Schloss die Augen. Doch das hielt die wirren Bilder nicht davon ab, sie weiter zu bedrängen.
Wenn sie nicht zu Schimmer hinausgegangen wäre, um nach ihm zu sehen, oder Edom nur ein bisschen schneller zu Werke gegangen wäre, wäre Wolf jetzt tot. Das hätte nicht nur das Ende aller Hoffnung, den ae’Magi zu besiegen, bedeutet, sondern auch den unwiederbringlichen Verlust ihres mysteriösen Gefährten. Ein Teil von ihr war leicht amüsiert, dass es die zweite dieser möglichen Folgen war, die sie am meisten beschäftigte. Ren hätte das gewiss missbilligt.
Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie erst in dem Moment bemerkte, dass Wolf ebenfalls erwacht war, als er sich neben sie setzte.
»Geht es dir gut?«, fragte er sanft.
Sie wollte bereits nicken, doch dann schüttelte sie brüsk den Kopf – ohne ihn von den Knien zu heben. »Nein. Es geht mir nicht gut. Wenn es mir gut ginge, würde ich schlafen.« Während sie sprach – nach wie vor ohne aufzublicken –, rutschte sie näher zu ihm herüber, lehnte sich an ihn.
Es folgte ein Moment des Schweigens, dann legte sich ein Arm um ihre Schulter. »Was ist los, Aralorn?«
Er war so warm. Sie zuckte die Achseln.
»Gibt es irgendetwas, das ich tun kann?«
Sie ließ ihre Beine los und schmiegte sich noch enger an ihn, bis sie ihm fast auf dem Schoß saß. »Das machst du bereits, danke. Tut mir leid. Bin bloß etwas aufgewühlt nach dem Kampf.«
»Dafür musst du dich nicht entschuldigen.« Bewegungslos saß er da, hielt sie fast etwas ungeschickt in seinem Arm – doch seine Wärme übertrug sich auf sie und milderte die Kälte, die Decken nicht in der Lage gewesen waren zu vertreiben.
Aralorn fühlte sich etwas besser, sah gleichwohl jedoch keinen Grund, wieder von ihm abzurücken. »Ich werde wohl langsam zu einer dieser Frauen, die bei der erstbesten Gelegenheit anfangen, zu jammern und zu klagen – bloß damit ein starker Männerarm sie tröstet.« Ja, sie kokettierte. Es schien ihn nicht zu stören.
»Hmm«, sagte er und tat so, als würde er darüber nachdenken. »Deshalb machen die das also? Ich hab mich das immer schon gefragt.«
»So ist es«, erwiderte sie weise, wohl zur Kenntnis nehmend, dass er sie nicht mehr ganz so fest hielt. Als wäre er eine derartige Nähe einfach nicht gewohnt. Es war durchaus vorgekommen, dass sie sich an den Wolf gekuschelt hatte – obwohl eigentlich eher selten. Meistens hatte er so eine Situation gar nicht erst aufkommen lassen. »Dann«, fuhr Aralorn noch immer im Plauderton fort, »macht sie ihn sich zu Willen, und er muss sie heiraten. Es tut gut zu wissen, dass ich noch nicht so tief gesunken bin … noch nicht.«
»Also bist du nicht deshalb hier?« Er wirkte eher neugierig als enttäuscht, wie sie fand.
Sie ließ einen Augenblick verstreichen, dann sagte sie: »Mir war nur ein bisschen kalt, und da fragte ich mich: ›Aralorn, was ist die einfachste Methode, um sich
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