ARALORN - Die Wandlerin: Roman (German Edition)
sein Gesicht sahen. Achtlos warf Wolf die Schlüssel auf den grob gehauenen Tisch, wo sie über die Platte schlitternd eine Spur in die fettige Schmutzschicht gruben. Als er sprach, tat er es mit der verhassten Stimme des ae’Magi, sanft und warm und voll melodiösem Wohlklang. Der Illusionszauber war simpel – es kostete ihn nur wenig Mühe, sein Gesicht so zu verwandeln, dass es in dem Schummerlicht dem des ae’Magi glich, der sein Vater war.
»Ich denke, es ist von jetzt an klüger«, sagte er zu den Männern, »wenn die zuständige Wache die Schlüssel bei sich behält. Wie leicht könnte jemand auf anderem Wege in den Kerker eindringen. Wir sollten es ja niemandem leichter machen, als es bereits ist.«
Ohne die Männer noch einmal anzusehen, schritt er weiter zur entgegengesetzten Tür, die sich folgsam öffnete, um ihn hindurchzulassen, und hinter ihm wieder ins Schloss fiel. Der breite Treppenaufgang, der in die oberen Stockwerke führte, erstreckte sich vor ihm. An der seitlichen Wand befand sich ein schmaler Spalt, der Zugang zu dem Bereich unter dem Aufgang gewährte, der gelegentlich als Lagerraum diente. Wolf schlüpfte hindurch und in geduckter Haltung unter die Treppe.
Zielsicher berührte er den Punkt, der die Geheimtür öffnete. Während er hindurchtrat, flüsterte er einen einfachen Zauberspruch, und der Staub unter der Treppe verteilte sich wie von Geisterhand neu, bis darin keine Fußspuren mehr erkennbar waren.
Als sich die Steintür hinter ihm schloss, löschte er das Licht. In dem Durchgang herrschte pechschwarze Finsternis, und selbst seine magieempfindlichen Augen konnten nur wenig Helligkeit ausmachen. Winzige Lichttupfer, die ihren Weg durch die Löcher im Mörtel gefunden hatten, ließen die aufragenden Wände wie den Nachthimmel funkeln. Sie waren auch der Grund dafür, warum er das Licht gelöscht hatte – für den Fall, dass jemand in einem dunklen Raum auf der anderen Seite der Wand dasselbe Phänomen erblickte.
Wolf beließ eine Hand an einer Wand, hielt mit der anderen Aralorn fest und ertastete mit den Füßen den Weg. Als er gegen einen Haufen Unrat trat und dieser eine unsichtbare Treppe herabpurzelte, verlangsamte er seine Schritte. Mit einem grimmigen Lächeln, das niemand sehen konnte, stieg er sodann blind die Treppe hinab.
Raschelnd huschten Ratten und anderes wenig reizvolles Getier aus dem Weg. Einmal hätte er fast den Halt verloren, als er auf etwas trat, das noch nicht allzu lange tot sein konnte. Ein Knurren und Fauchen folgte; jemand oder etwas protestierte offenbar gegen die respektlose Behandlung seiner nächsten Mahlzeit.
Erst als sie bei der letzten Stufe der langen Treppe angelangt waren, entschied er, dass sie nun tief genug waren, um wieder ein Licht zu riskieren. Der Boden war dick mit Schmutz bedeckt; nur schwache Umrisse ließen erkennen, wo er das letzte Mal, als er vor etlichen Jahren hier gewesen war, den Staub aufgewirbelt hatte, unterwegs auf Beutezug in eine der geheimen Bibliotheken – er hatte mehr als nur die eine restlos geplündert.
Beruhigt, dass der Gang unentdeckt geblieben war, stellte sich Wolf vor eine nackte Wand und zeichnete einige Symbole in die Luft. In glühendem Orange hingen die Zeichen eine Weile in den Schatten, dann schimmerten sie auf und bewegten sich auf die Mauer zu, bis sie sie berührten. Nun begann die Wand ihrerseits zu flimmern, bevor sie schließlich mit einem Schlag verschwand – und den Weg zu einem weiteren düsteren Stollen freigab, tief hinein in den Fels unter der Burg. Eine geraume Zeit ging er weiter, wandte sich auf seinem Pfad nach hierhin und dorthin, schritt Gänge entlang, die einst von einem Jungen entdeckt worden waren auf der Suche nach Zuflucht.
Zweimal musste er seine Route ändern, weil der gewählte Gang zu eng war für ihn mit Aralorn auf den Schultern. Einmal wurde der Weg von einem Felseinsturz versperrt. Einige der Stollen wiesen Spuren kürzlicher Benutzung auf, und auch diese mied er. Als sie schließlich aus dem Labyrinth an die Oberfläche kamen, befanden sie sich mehrere Meilen östlich der Burg und außerhalb direkter Sicht.
Er hob Aralorn von der Schulter und trug sie auf seinen Armen weiter, auch wenn dies wesentlich mühsamer war. Mehr konnte er, solange sie nicht sichereres Gebiet erreicht hatten, nicht tun. Und so schritt er geschwind durch den nachtdunklen Wald, angestrengt auf Geräusche horchend, die dort nicht sein sollten.
Er wünschte, er wäre nicht gezwungen
Weitere Kostenlose Bücher