Archer, Jeffrey
brauche auch kein Glück. Im Leben hängt nämlich einiges von Fähigkeiten ab.«
Dieses Gespräch wurde natürlich gegenüber Miss Tredgold nicht erwähnt.
Zu Jahresende stellte Florentyna erstaunt fest, daß sie nur noch in Latein und Französisch Klassenerste, im Durchschnitt jedoch auf den dritten Platz zurückgefallen war. Miss Tredgold las sorgfältig die Schulbeschreibung, die ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte. Aber es war sinnlos, mit dem Kind darüber zu sprechen, weil Florentyna nur noch auf Ratschläge hörte, die ihrer eigenen Meinung entsprachen. Wieder verbrachte sie die Sommerferien bei ihrem Vater in New York und durfte in einem der Hotelläden mitarbeiten. Jeden Morgen stand Florentyna früh auf und zog die blaßgrüne Uniform des Hotelpersonals an. Sie konzentrierte ihre ganze Energie auf die kleine Modeboutique, und bald machte sie Miss Parker, der Geschäftsleiterin, Verbesserungsvorschläge; diese war beeindruckt, und nicht nur, weil Florentyna die Tochter des Barons war. Im Lauf der Zeit gewann Florentyna mehr Selbstsicherheit; auf ihre privilegierte Stellung pochend, legte sie die Uniform ab und begann das jüngere Personal herumzukommandieren – allerdings nie vor Miss Parker.
Freitag morgen kam Jessie Kovats, eine junge Verkäuferin, zehn Minuten zu spät. Miss Parker war in ihrem Büro, Florentyna aber erwartete Jessie an der Tür.
»Sie sind wieder verspätet«, sagte sie. Jessie nahm sich nicht die Mühe, ihr zu antworten.
»Haben Sie mich gehört, Miss Kovats?«
»Klar«, sagte Jessie und hängte ihren Mantel auf.
»Und wie lautet Ihre Entschuldigung heute?«
»Bei Ihnen muß ich mich nicht entschuldigen.«
»Das werden wir noch sehen«, sagte Florentyna, im Begriff, zu Miss Parker zu gehen.
»Machen Sie sich keine Mühe, Sie Wichtigtuerin, ich hab sowieso genug von Ihnen.«
Jessie marschierte in Miss Parkers Büro und schloß die Tür hinter sich. Florentyna gab vor, auf dem Ladentisch Ordnung zu machen, während sie auf das Mädchen wartete. Ein paar Minuten später kam Jessie aus dem Büro, nahm den Mantel vom Haken und verließ wortlos den Laden. Florentyna war mit dem Resultat ihres Tadels zufrieden. Kurz darauf erschien Miss Parker.
»Jessie sagte mir, daß sie uns Ihretwegen verläßt.«
»Sie ist kein großer Verlust«, meinte Florentyna. »Sie hat sich nicht überarbeitet.«
»Darum geht es nicht, Florentyna. Ich muß diesen Laden weiterführen, auch nachdem Sie in die Schule zurückgekehrt sind.«
»Vielleicht haben wir bis dahin alle Jessie Kovats ausgemerzt, die Zeit und Geld meines Vaters verschwenden.«
»Miss Rosnovski, wir sind hier ein Team. Nicht jeder kann intelligent sein oder besonders tüchtig, aber im Rahmen seiner Fähigkeiten tut jeder sein Bestes, und bisher gab es keine Klagen.«
»Vielleicht, weil mein Vater zu beschäftigt ist, Sie genauer zu kontrollieren, Miss Parker?«
Miss Parker wurde rot und hielt sich am Ladentisch fest.
»Ich glaube, es ist an der Zeit, daß Sie in einem anderen Laden Ihres Vaters arbeiten. Ich diene ihm seit zwanzig Jahren, und noch nie hat er so unhöflich mit mir gesprochen.«
»Vielleicht ist es an der Zeit, daß Sie in einem anderen Geschäft arbeiten und vorzugsweise nicht in einem, das meinem Vater gehört.«
Florentyna verließ den Laden, fuhr mit dem Privatfahrstuhl des Hotels in den 42. Stock und sagte der Sekretärin, daß sie sofort ihren Vater sprechen müsse.
»Er leitet eine Vorstandssitzung, Miss Rosnovski.«
»Dann unterbrechen Sie und sagen Sie ihm, ich möchte ihn sprechen.«
Die Sekretärin zögerte, dann rief sie Mr. Rosnovski an.
»Ich bat Sie, mich nicht zu stören, Miss Deneroff.«
»Es tut mir leid, Sir, aber Ihre Tochter besteht darauf, Sie zu sehen.«
Nach einer kurzen Pause: »Gut, schicken Sie sie herein.«
»Entschuldige, Papa, aber ich muß dringend mit dir sprechen«, sagte Florentyna; als sich acht um den Tisch sitzende Männer erhoben, fühlte sie sich auf einmal etwas weniger sicher. Abel führte sie in sein Büro.
»Nun, was ist es, das nicht warten kann, Liebling?«
»Es geht um Miss Parker. Sie ist untüchtig, dumm und spießig.«
Florentyna erzählte dem Vater ihre Version der Ereignisse des Vormittags.
Unaufhörlich trommelten Abels Finger auf die Schreibtischplatte. Als sie geendet hatte, drückte er auf einen Knopf der Sprechanlage, »Bitten Sie Miss Parker aus der Boutique sofort zu mir.«
»Danke, Papa.«
»Sei so nett und warte nebenan, während
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