Argeneau Vampir 16 - Der Vampir in meinem Bett
sie: »Schwul?«
»Ja. Aber an der Uni wusste das kaum jemand. Er hatte sich damals noch nicht geoutet. Seine Eltern waren ziemlich alt, und er hatte die Befürchtung, dass sie ihn nicht mehr akzeptieren würden, wenn sie davon erfuhren.« Sie lächelte flüchtig. »Das Witzige war, dass er mich jahrelang mit zu seinen Eltern nahm und mich als seine Freundin ausgab, damit sie nicht dahinterkamen. Und als er sich dann endlich outete, war seine Mutter überhaupt nicht überrascht. Sie hatte die ganze Zeit über gewusst, dass ich nur sein Zierfisch war.«
Gia drehte sich um und setzte sich auf den Tresen, trank einen Schluck aus der Wasserflasche, die sie wohl mitgebracht hatte, dann fragte sie irritiert: »Sein Zierfisch?«
»Ja, das ist so eine Redewendung für eine vorgetäuschte Freundin, damit die Leute nicht merken, dass jemand schwul ist«, erklärte sie und fragte sich, welchen Begriff man dafür wohl in Italien benutzte. Sie konnte sich daran erinnern, dass Marguerite davon gesprochen hatte, dass die ganze Band sich aus Verwandten von Julius zusammensetzte, die so wie er aus Italien kamen.
Sie sah zur Tür und zögerte. Solange die Chance bestand, dass Christian sich immer noch an ihrem Tisch aufhielt, wollte Carolyn lieber nicht dorthin zurückkehren. Sie fürchtete, sich noch mehr zum Narren zu machen, wenn sie bei seinem Anblick plötzlich anfing zu sabbern oder sonst etwas tat, womit sie verriet, wie sehr sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Es war einfach besser, ihm aus dem Weg zu gehen. Sie konnte immer noch an ihren Tisch zurückkehren, wenn er wieder auf der Bühne stand. Und bevor das Konzert zu Ende war, konnte sie sich schnell aus dem Staub machen und die Lounge meiden, bis die Band gegangen war.
»Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir«, forderte Gia sie auf und klopfte mit der flachen Hand auf den Tresen. Als Carolyn sie unschlüssig ansah, fügte sie hinzu: »Man soll sich in den Pausen entspannen, aber wenn ich jetzt wieder rausgehe, werden mich alle möglichen Leute ansprechen, und dann kann ich nicht entspannen. Hier zu sitzen und mit Ihnen zu reden, das ist entspannend.«
Da Carolyn auch noch nicht zurück an ihren Tisch wollte, setzte sie sich zu Gia.
»Und es hat Ihnen nichts ausgemacht, für diesen Freund der Zierfisch zu sein?«, fragte Gia.
»Nein, überhaupt nicht. Brent war und ist ein echter Schatz, und er ist nach wie vor ein guter Freund. Außerdem tat er mir leid. Er hatte damals schwer mit seiner Sexualität zu kämpfen. Er wollte unbedingt hetero sein, um seine Familie nicht zu enttäuschen und um von den anderen akzeptiert zu werden. Aber er fühlte sich einfach nicht zu Frauen hingezogen. Es war eine schwere Zeit für ihn, und ich war froh, dass ich ihm helfen konnte«, meinte sie achselzuckend.
»Mein
Cugino
hat das gleiche Problem«, verriet Gia ihr, als sie gerade wieder zur Tür sah.
»
Cugino
?«, wiederholte Carolyn verständnislos.
»Cousin«, übersetzte sie. »Er ist auch schwul, aber … na ja, in Italien ist dieses Machogehabe so ausgeprägt, vor allem in unserer Familie. Darum vertraut er sich niemandem an. Außer mir weiß keiner etwas davon.«
»Oh, wie furchtbar. Das muss nicht einfach für ihn sein«, sagte sie mitfühlend und dachte dabei an die vielen Nächte, in denen sie mit Brent zusammengesessen und über das Thema geredet hatte. Für ihn war es ein wirklich harter Kampf gewesen, und sie fand es einfach nur unfair. Sie verstand nicht, warum manche Leute eine so aggressive Einstellung zum Thema Homosexualität hatten. Es war ja schließlich nicht so, als würde jemand eines Morgens aufwachen und sich sagen: »So, heute werde ich dem Universum mal ordentlich in die Suppe spucken und meine sexuellen Vorlieben wechseln.« Sie war auf dem Gebiet keine Expertin, aber ihr erschien es absurd zu glauben, jemand könnte es sich aussuchen, zu welchem Geschlecht er sich hingezogen fühlte. Das war so wie beim Essen. Dem einen schmeckt Vanilleeis, dem anderen Schokoladeneis. Niemand hat einen Einfluss darauf, was ihm schmeckt, bevor er davon probiert hat, sondern Vorlieben entwickeln sich von ganz allein, und darauf hat nun einmal niemand Einfluss.
»
Si
«, stimmte Gia ihr betrübt zu. »Eine Zeit lang war es nicht ganz so schlimm, weil er da seinen Zierfisch hatte. Viele Jahre lang. Er war mit der Frau gut befreundet, und sie begleitete ihn zu Familienfeiern und so weiter. Aber letztes Jahr hat sie geheiratet, und seitdem hat er keine Alibifrau mehr. Jeder
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