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Arkadien 02 - Arkadien brennt

Titel: Arkadien 02 - Arkadien brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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es wie eine Schauspielerin, die für eine Szene Emotionen aus ihrer Erinnerung abruft. Sie dachte an Zoes Tod und an den Verrat ihres Vaters, beschwor die Bilder des Videos herauf, ihre aufgerissenen, wachen Augen, während er tatenlos zusah. Da regte sich das Reptil in ihr und mit der Kraft eines Stromschlags fuhr die Kälte in ihre Glieder und ließ sie im nächsten Moment als Schlange zu Boden sinken.
    Augenblicklich glitt sie vorwärts, den Gang entlang zur nächsten Treppe nach oben. Niemand begegnete ihr und sie hörte nichts als das trockene Rascheln ihrer Schuppen auf den ausgetretenen Steinfliesen. Sie erreichte den ersten Stock und machte sich im Dämmerlicht der Nachtlampen auf den Weg in den Westflügel.
    Signora Falchi feuerte nicht mehr, vielleicht waren ihr die Kugeln ausgegangen. Die Klinke ihrer Zimmertür war von außen mit einer Eisenstange blockiert. Rosa erkannte drei Einschusslöcher im Eichenholz; die Splitter wiesen auf den Flur. Es war unmöglich, die verbarrikadierte Tür von innen zu öffnen.
    Aufmerksam schaute sie sich um und wartete, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Niemand zu sehen. Michele und Valerie mussten die Lehrerin in ihrem Zimmer eingeschlossen und sich selbst überlassen haben. Wahrscheinlich war sie dort auch jetzt noch am sichersten.
    Rosa glitt weiter zu Costanzas ehemaligem Schlafzimmer. Die Tür stand offen, das Schloss war herausgebrochen worden. Es sah so aus, als hätte Iole Valerie nach Rosas Abreise doch noch eingesperrt – vergebens.
    Valerie war fort. Auch von Sarcasmo gab es keine Spur. Rosa war übel vor Sorge um Iole, und das Verschwinden des Hundes machte es nicht besser. Hatte Michele dem Mädchen etwas angetan? Hatte er Sarcasmo erschossen? Und wo steckte Alessandro?
    Eilig machte sie sich auf den Weg zu ihrem eigenen Zimmer und fand es unberührt vor. In der Ankleidekammer wurde sie zum Menschen, schlüpfte benommen in Jeans und T-Shirt und schlich barfuß hinaus auf den Gang. Im Arbeitszimmer gab es einen verschließbaren Schrank, in dem Florinda eine Pistole und Munition aufbewahrt hatte.
    Vorsichtig bewegte sie sich durch die düsteren Korridore, lief von einer Nische zur anderen, tauchte in tiefe Schatten. In einem Durchgang stieß sie auf Giannis Leiche. Rosa wandte sich ab und rannte weiter.
    Ihre Haut brannte wie aufgeschürft, aber sie wies weder Wunden noch Rötungen auf. Vielleicht hatte ihr Gehirn noch nicht vollends registriert, dass sie keine Schlange mehr war. Auch ihre Gelenke kamen ihr vor wie Fremdkörper, an deren Benutzung sie sich gewöhnen musste.
    Sie lauschte auf Stimmen, auf Laute, auf Schritte. Nichts. Aber die Mauern des Palazzo waren dick und die alten Wandteppiche schluckten die meisten Geräusche.
    Was hätte sie an Micheles Stelle getan? Er wollte sich rächen, weil er Alessandro für den Auftraggeber der Morde hielt. Teil seiner Vergeltung war Rosas Tod. Nachdem er sie nicht angetroffen hatte, musste er Iole über sie ausgefragt haben. Wahrscheinlich hatte sie ihm die Wahrheit gesagt: dass Rosa mit dem Wagen fortgefahren war. Sicher hatte er daraufhin begonnen den Palazzo zu durchsuchen, was in Anbetracht der zahllosen Zimmer und Flure ein hoffnungsloses Unterfangen war. Ob Valerie ihm geholfen oder Iole bewacht hatte, machte kaum einen Unterschied. Erst recht nicht, seit die Hundinga das Gemäuer belagerten. Michele blieb keine Zeit, gründlich zu sein; der Angriff musste ihn ebenso überrascht haben wie Iole und Signora Falchi. Vermutlich war er nervös. Wer nervös war, machte Fehler.
    Das Arbeitszimmer lag am Ende eines langen Korridors im zweiten Stock und besaß keine Tür, nur einen offenen Rundbogen als Zugang, der es nahezu unmöglich machte, ungesehen dorthin zu gelangen. Als Mensch hatte sie keine Chance. Dennoch schob sie die Verwandlung auf, weil sie spürte, dass der schnelle Wechsel an ihren Kräften zehrte. Sie hatte keine Ahnung, was sie ihrem Körper zumuten durfte. Biologisch mochten die Metamorphosen nicht zu erklären sein, aber das bedeutete nicht, dass sie keine Spuren hinterließen. Genau genommen brach Rosa sich jedes Mal alle Knochen. Auf Dauer musste das etwas mit ihrem Körperbau, ihrem Kreislauf und Stoffwechsel anstellen.
    Um in den zweiten Stock zu gelangen, benutzte sie eine der Nebentreppen für die ehemalige Dienerschaft des Palazzo. Die Zeit der Zofen und Kammerdiener war lange vorbei, und die schmalen Stufen, die sie einst benutzt hatten, waren spinnwebbehangen und

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